Nach dem Abschluß der Bauarbeiten konnten um Weihnachten 1896 die ersten Probefahrten und die Einschulungsfahrten der "Elektrischen" stattfinden. Am 25. Jänner 1897 wurde die technisch-polizeiliche Prüfung durchgeführt, bei der auch die künftigen Geschwindigkeiten auf der Transversallinie festgelegt wurden: Die Höchstgeschwindigkeit durfte im günstigsten Fall 15 km/h nicht überschreiten, für das Befahren von Weichen, Kreuzungen und verkehrsreichen Straßen wurden maximal 6 bis 12 km/h verfügt. Am 27. Jänner 1897 wurde dann Punkt 12 Uhr mittags die offizielle Eröffnungsfahrt für die Honoratioren der Stadt Wien und der staatlichen Behörden sowie für die Presse mit einem Konvoi von zehn Motorwagen absolviert.
Das Extra-Abendblatt vom 27. Jänner 1897 berichtete damals: "Heute ist von der Remise in der Vorgartenstraße der Eröffnungszug der ersten elektrischen Tramway abgegangen, besetzt mit Würdenträgern des Staates und der Gemeinde."
Für die Wiener Tramwaygesellschaft bedeutet die Eröffnungsfahrt eine wichtige Etappe im Betriebe, die bisher thierische Kraft weicht auf einer 9, 7 km langen Strecke, auf der sogenannten Transversallinie, der Elektricität. Was in anderen und kleinen Städten längst besteht, die elektrische Straßenbahn, ist endlich in der Millionenstadt Wien aus dem Dämmer der kommissionellen Erhebungen in das Tageslicht gerückt worden. Es würde den Raum dieses Blattes überschreiten, wollten wir alle die Bedenken und Hindernisse verzeichnen, welche hier den elektrischen entgegen gehalten wurden. Aus den zahllosen Gutachten und Prüfungsprotokollen zog nur die heimische Papierindustrie Vorteile, und während in den staatlichen und kommunalen Ämtern Stöße von elektrischen Akten sich thürmten, wurde in anderen Gemeinwesen ein rascheres Tempo eingeschlagen, siegte dort der Fortschritt über Gemächlichkeit, Vorurteile und Voreingenommenheiten. So kommt es, daß wir erst heute über eine Art Localereignis berichten, während in Budapest und anderswo schon längst die Elektricität den Zwecken des Strassenverkehrs dienstbar gemacht erscheint. Wir haben bereits über die Anlage und Ausrüstung der elektrisch zu betreibenden Transversallinie der Tramway ausführliche Mittheilungen gebracht. Die Trasse durch die Bezirke II, IX, VIII, VII und VI beginnt im Prater und endet beim Raimundtheater. Die Gesamtlänge der Strecke stellt mehr als den 10. Theil sämtlicher im Betrieb befindlichen Tramwaylinien dar. Es wurde zu dem System der oberirdischen Stromzuleitung gegriffen. Die Befestigung der Kontaktdrähte geschah an Wandrosetten bei den Häusern und an eisernen Masten, welche längs der Gleise aufgerichtet wurden. Sinnreich gedacht sind die Schutzvorrichtungen bei einem eventuellen Reißen der ebenfalls die Straßen überspannenden Telefondrähte. Um zu verhüten, daß der Telefondraht auf den Kontaktdraht falle und der Straßenbahnstrom durch die Telefondrähte weiterfließe, wurden an geeigneten Stellen Fangnetze abgespannt, so daß jede Berührung der verschiedenen Drähte ausgeschlossen ist. Weitere Schutzmaßregeln wurden getroffen, um bei schlechten Kontakten an den Schienenstößen ein Zurückweichen des Stromes durch die Gas- und Wasserleitungsrohre unmöglich zu machen.
Von morgen angefangen werden 30 hübsch ausgestattete Motorwagen verkehren. Dieselben haben im Innern 2 Längsbänke mit je 10 Sitzplätzen, außerdem entsprechenden Raum auf den Plattformen für eine Anzahl Personen, welche keine Sitzplätze finden konnten.
Vorläufig ist eine Fahrgeschwindigkeit von 12 km/St in Aussicht genommen. Die unter jedem Motorwagen angebrachten hölzernen Vorrichtungen dienen zum Schutz gegen ein Überfahren.
Durch Beiwagen zum Motorwagen soll die Leistungsfähigkeit der elektrischen Tramway die gewünschte Steigerung erfahren.
Zur Nachtzeit werden die Vehikel mittels Glühlampen beleuchtet, und während der Sommerzeit wird zum Zwecke einer besseren Ventilation ein doppeltes Dach angebracht werden. Die Bedienung des Wagens geschieht durch die bisherigen Kutscher und Kondukteure; die Einschulung machte keine besonderen Schwierigkeiten. Der Passagier wird durch das neue Transportmittel rascher an sein Ziel gelangen, wir erwarten, daß auf der elektrischen Tramway jede Überfüllung vermieden wird. Es fährt sich angenehm auf der elektrischen Tramway, nur beim Übergang vom Stillstand zur Bewegung wird ein kleiner Stoß fühlbar.
Der Eröffnungszug brauchte vom Prater bis zum Raimundtheater 47 Minuten, das sind 14 Minuten weniger als mit den Pferdewagen. Die Fahrt erweckte das lebhafteste Interesse des Publikums, die Leute auf den Straßen tauschten Bemerkungen über die neuen Motorwagen aus, die rasch vorüberrollten, während unter den Rädern auf den Schienen die blauen Funken stoben. Die Direktion der Tramwaygesellschaft gibt folgendes bekannt: Der elektrische Betrieb auf der Transversallinie, und zwar von der gesellschaftlichen Remise in der Vorgartenstraße via Praterstern Nußdorfer Straße - Spitalgasse - Skodagasse - Kaiserstraße - Raimundtheater, wird am Donnerstag d. 28. d. M. für den allgemeinen Verkehr eröffnet.
Für die Motor- und Anhängewagen gilt das Überfüllungsverbot, und zwar ausnahmslos auch für Sonntage und Feiertage ebenso rücksichtlich des letzten Wagens.
Das Ein- und Aussteigen ist nur auf der rückwärtigen Plattform, und zwar trottoirseitig, gestattet, das Auf- und Abspringen während der Fahrt ist verboten.
Es wird ausdrücklich bemerkt, daß durch die Einführung des elektrischen Betriebes auf der bezeichneten Strecke weder eine Tariferhöhung noch irgend eine Einschränkung hinsichtlich des bisherigen Umsteigrechtes eintritt.