Der Fortschritt ist nicht mehr aufzuhalten
Man hatte für die elektrischen Triebwagen wegen der rigorosen Einhaltung des Überfüllungsverbotes von Anfang an einen Betrieb mit Beiwagen vorgesehen. Allerdings erlaubte die Behörde nur einen "Anhängewaggon". Vorerst wurden daher 30 kleine, ehemalige einspännige Pferdetramwaywagen (Typen q und q1) für den elektrischen Betrieb adaptiert, denen später auch noch ehemalige Sommerwagen (Type w) folgten. Dafür bekamen die Wagen Pufferkupplungen und eine elektrische Beleuchtung über eine Versorgungsleitung vom Triebwagen. Aufgrund ihres geringen Gewichtes wurden diese Beiwagen nicht mit einer vom Motorwagen aus regulierbaren Betriebsbremse, der "Solenoidbremse", ausgestattet. Dafür mußte der Beiwagenschaffner in bestimmten Fällen mit der Handbremse des Beiwagens mitbremsen.
Die Notwendigkeit für die Verwendung einer Solenoidbremse ergab sich erst, als auch schwerere Beiwagen befördert wurden.
Für die Verstärkung des von der Bevölkerung sehr in Anspruch genommenen elektrischen Verkehrs auf der Transversallinie wurden noch im Jahr 1897 weitere zehn Triebwagen (31m bis 40m) von der Grazer Waggonfabrik geliefert. Sie hatten gegenüber der Erstlieferung geringe Änderungen wie zum Beispiel vergrößerte Fenster, was eine Verlängerung der Wagen von bisher 8.080 mm auf 8.260 mm ergab. Die ersten Beiwagen, die für den elektrischen Betrieb neu gefertigt wurden, entstammten einer Lieferung von zweispännigen Pferdetramwaywagen aus dem Jahr 1898: Die letzten 27 Wagen der Serie "p" wurden umgeplant und bereits mit den Einrichtungen für elektrischen Betrieb ausgeliefert.
Eine weitere Verstärkung des Wagenparks ergab sich im Jahr 1898 durch die Lieferung von zehn Triebwagen (Nummern 41 bis 50), die von der Firma Schlick in Budapest stammten.
Anläßlich der Kaiser-Jubiläumsausstellung des Jahres 1898 stellte die Wiener Tramwaygesellschaft zwei weitere Linien auf elektrischen Betrieb um. Eine Linie, die am 7. Mai 1898 eröffnet wurde, führte im Anschluß an die Transversallinie über die Ausstellungsstraße und die Lagerhausstraße zum Südportal der Rotunde. Mit der zweiten Ausstellungslinie konnte man ab 6. August 1898 von der Hauptallee im Prater zum Aspernplatz und in weiterer Folge über Ring und Kai elektrisch befördert werden.
Der elektrischen Linienführung über die Ringstraße stellte sich jedoch ein großes Problem entgegen: Die Wiener Prachtstraße sollte nicht durch Oberleitungen "verschandelt" werden. Die Leitung der Wiener Tramwaygesellschaft wollte das in Budapest schon seit 1889 verwendete System der Unterleitung im Bereich der Ringstraße einführen, der Wiener Gemeinderat mißtraute aber diesen bewährten Anlagen, sodaß man auf einen Betrieb mit Akkumulatorwagen ausweichen mußte. Die 25 Triebwagen (Nummern 51 bis 75) für diese Betriebsart wurden 1898 von der Werkstätte der Hamburger Straßenbahn geliefert. Sie hatten wegen der drei Tonnen schweren Akkumulatoren kräftig bemessene Untergestelle und Wagenkästen. Die Triebwagen fuhren von der Hauptallee bis zum Schottenring als Oberleitungswagen, wobei auch die Akkumulatoren aufgeladen wurden. Auf der Fahrt über die Ringstraße wurden die Motoren vom Strom der Akkus angetrieben. Der Betrieb mit den Akkutriebwagen erforderte ungewöhnlich hohe Instandhaltungskosten, außerdem klagten die Fahrgäste über den Säuregeruch im Wagen. Der Akkubetrieb am Ring wurde daher im Jahr 1901 zugunsten des früher abgelehnten Unterleitungssystems abgelöst. Dieses Unterleitungssystem wurde auf der Ringstraße und auf der inneren Mariahilfer Straße eingeführt. Dabei wurde ein zwischen den Triebwagenrädern befindlicher Stromabnehmer in einen Schlitzkanal der jeweils linken Schiene hinabgelassen. In diesem Kanal befand sich eine stromführende Leitung, von der dieser Stromabnehmer die elektrische Energie bezog. Der Dachstromabnehmer war während der Fahrt auf einer Unterleitungsstrecke abgezogen. Das System war sehr wartungsintensiv und auch störungsanfällig, trotzdem wurde es aber bis 20. Dezember 1915 beibehalten. Danach wurden auch die "Prachtstraßen" mit Oberleitungen ausgestattet.