Allgemeine Begeisterung und "Überfüllungsverbot"

Garnitur mit Triebwagen 17m fährt von der Mariahilfer Straße zur Endstation Wallgasse. (Foto: Wiener Linien)
Die Endstation der nördlichen "Transversallinie" in der Wallgasse vor dem Raimundtheater. (Foto: Wiener Linien)

Ab 28. Jänner 1897 konnte dann die elektrische Straßenbahn auch vom allgemeinen Publikum benützt werden. Auf den sehr kleinen Plattformen, die durch den "Controller" noch zusätzlich beengt waren, konnten nur ganz wenige Fahrgäste mitfahren. Im Mittelgang des Wageninnenraumes war es verboten zu stehen. Auch das behördlich erlassene "Überfüllungsverbot", das bei der Pferdetramway nur auf dem Papier bestand, wurde im elektrischen Betrieb sehr streng gehandhabt.

Ansonsten war man vom neuen Verkehrsmittel durchwegs begeistert, was sich auch in den Zeilen des "Morgen-Extrablattes" vom 28. Jänner 1897 widerspiegelt: So hat denn Wien endlich eine elektrische Tramwaylinie erhalten. Es hat lange gedauert. Während man in der Reichshaupt- und Residenzstadt über die Umwandlung einer Pferdebahnstrecke in eine mit Elektricität zu betreibende jahrelang konferierte, beobachteten andere Gemeinwesen ein großes Verständnis für die Bedürfnisse des großstädtischen Verkehres, und so ist es gekommen, daß beispielsweise Budapest bereits seit Jahren über ein modern ausgestattetes Netz elektrischer Bahnen verfügt, während Wien, die Millionenstadt, erst seit gestern mit einer elektrischer Linie beglückt wurde. Die Leute freuten sich, als statt des von Pferden gezogenen Gefährtes ein eleganter Wagen daherkam, der über die Schienen leicht und rasch dahinglitt und alle Terrainschwierigkeiten, die Steigung in der Skodagasse ebenso wie das Gefälle in der Blindengasse, sicher überwand. Nicht einmal die große Kurve bei der Einmündung der Spitalgasse in die Alserstraße bereitete Schwierigkeiten.

Während der Eröffnungsfahrt auf der Transversallinie konnte man beobachten, daß die vor Lastwagen und Omnibusse gespannten Pferde beim Herannahen des Motorwagens keine Beunruhigung zeigten, während die Equipagen-, Fiaker- und Comfortablepferde dann und wann ungebärdig wurden und sich bäumten. Diese Erscheinungen werden übrigens bald verschwinden, die Thiere werden sich an die Motorwagen rascher gewöhnen als an die Dampftramway, bei welcher die qualmende Lokomotive die Pferde erschreckte. Sehr wichtig ist, daß die Wagenfahrer, die ehemaligen Kutscher, der Leitung des Wagens und der Bremse die größte Aufmerksamkeit widmen; auch das Publikum muß aufpassen, am Praterstern, beim Nordwestbahnhof, in der Wallensteinstraße, vor dem Franz-Josef Bahnhof, beim Hotel Union, beim Versorgungshause, dann ecke Spitalgasse, in der Blindengasse und Kaiserstraße, vornehmlich aber bei der Kreuzung der Mariahilferstraße (nächst der ehemaligen Linie) der Elektrischen schnell aus dem Weg zu gehen. Im Interesse der Passagiere wurde das Auf- und Abspringen während der Fahrt verboten, und beiden Haltestellen ist das Besteigen und Verlassen das Wagens nur trottoirseifig gestattet. Wir haben bereits im Abendblatt ausführlich über die Eröffnungsfahrt berichtet und konstatieren nochmals die vortreffliche Schulung des Personals. Die ehemaligen Kutscher haben in verhältnismäßig kurzer Zeit die Lenkung des Motorwagens gründlich erlernt, sie zeigen sich mit den notwendigen Hantierungen vollkommen vertraut. Dem Wagenfahrer - so heißt der frühere Kutscher- ist verwehrt, mit dem Publikum zu sprechen, er hat auf den dirigierenden Mechanismus und auf die Strecke zu schauen, den Läuteapparat und die Bremse zu handhaben und bei nassem Wetter aus einem Säckchen Sand durch einen vorne am Wagen angebrachten Trichter auf die Schienen zu streuen.

Die ganze Anlage ist solid hergestellt, es sind alle modernen Errungenschaften des elektrischen Straßenbahnbetriebes verwertet worden, die Wagen präsentieren sich elegant. In den Motorwagen gibt es ausschließlich Sitzplätze, nur in den Beiwagen, wenn zur Abwicklung eines größeren Verkehres Tramwayzüge formiert werden, sind auch Stehplätze in bestimmter Zahl vorgesehen. Praktisch ist die Einrichtung, vor den Fenstern Stoffe zur Abwehr von Zugluft anzubringen, doch sollen die Verkleidungen besser befestigt werden, als es gestern der Fall war. Die Beleuchtung des Wagens geschieht im Innern durch 6 Glühlampen, welche von matten Krystallgläsern umhüllt sind. Wir hatten Gelegenheit, einen Motorwagen zur Nachtzeit zu sehen. Das erhellte Vehikel machte sich wirklich schön, und wie es über die Schienen dahinflog, begannen auf den über die Straße gespannten Drähten bläuliche Funken zu hüpfen. Geraucht darf in den Wagen nicht werden. Für alle Tage, selbst für Sonn- und Feiertage, gilt das Überfüllungsverbot.

An der Eröffnungsfahrt nahmen teil: Der Eisenbahnminister F. M. Lt. Graf Kielmannsegg, Stadtkommandant F. M. Lt. Ritter von Engel, Sektionschef Ritter von Wittek, der Chef des Eisenbahnbureaus des Generalstabes Baron Naswetter, der Vize-Präsident der Statthalterei Hofrat Dr. von Friebeis, Hofrat Hauffe, der Präsident der Handelskammer Mauthner, Vize-Bürgermeister Dr. Neumayer, Magistratsdirektor Pachan, Vize Direktor Preyer, Stadtbau-Direktor Berger, der Bezirksleiterder Leopoldstadt Polizei-Oberkommissär Kenda, ferner Stabsoffiziere, höhere Beamte des Eisenbahnministeriums, der Statthalterei, der Generalinspektion, der Eisenbahngesellschaften und der Elektricitätsunternehmungen sowie mehrere Stadt- und Gemeinderäte. Die Wiener Tramwaygesellschaft repräsentierten der Vize-Präsident Popper, die Verwaltungsräte und Direktor Canitain.

Der Apparat funktionierte tadellos, trotzdem jeder Motorwagen 80 Meterzentner schwer ist (der gewöhnliche Pferdewagen wiegt bloß 26 Meterzentner), wurde die Strecke von der Remise in der Vorgartenstraße bis zum Raimundtheater in 47 Minuten zurückgelegt, während bisher 61 Minuten erforderlich waren. Von heute ab, da die Linie der allgemeinen Benützung übergeben wird, kann die Geschwindigkeit sogar erhöht werden.

Das Umsteigerecht bleibt nach wie vor gewahrt, und auch in den Fahrpreisen tritt keine Veränderung ein.

Wie uns mitgeteilt wird, äußerten der Eisenbahnminister und der Statthalter gegenüber dem Vize-Präsidenten Popper die Erwartung, daß successive auf dem ganzen Netz der Tramwaygeselltschaft der elektrische Betrieb eingeführt werden wird. Es wurde seitens der Funktionäre hervorgehoben, daß die Gesellschaft sich mit der Eröffnung des elektrischen Betriebes ein großes Verdienst um die Verkehrsverhältnisse in Wien erworben habe, daß die Bevölkerung mit Freude dieses bessere Verkehrsmittel begrüße und daß nunmehr hoffentlich die Gemeinde Wien in ihrem Wirkungskreise alles veranlassen werde, um die totale Umgestaltung des derzeitigen Tramwaybetriebes in elektrischen Betrieb durch die Tramwaygesellschaft thunlichst zu unterstützen.

In dem offizieller Protokolle, welches nach der Probefahrt aufgenommen wurde, lautet die Äußerung des Vertreters des Eisenbahnministeriums: "Die elektrische Ausrüstung der ersten elektrischen Tramway in Wien kann jedenfalls als die vollkommenste gelten, die bis jetzt in Anwendung gekommen ist."