Die Triebwagen Reihe 100 der Lokalbahn Wien - Baden
- Das Bemühen der Badner Bahn um ein attraktives Angebot findet in der breiten Öffentlichkeit Anerkennung, wie es zum Beispiel ein Bildtext zum Waggon 101 in der Kronen Zeitung (18. 2. 1989 S. 15) erkennen läßt: Elegant, wie sich's gehört für eine international bekannte Kurstadt. (Foto: Dipl. Lng. G. Zimmerl, 1988)
Baujahr 1979
Textauszug aus der Broschüre "Der Gelenktriebwagen der Badner Bahn" von Ing. Erich Duda, Verlag Josef Otto Slezak, ISBN 3-85416-146-8
1. Gründe für die Beschaffung neuer Fahrzeuge
Die AG der Wiener Lokalbahnen (wie der offizielle Firmenname lautet, kurz WLB) betreibt auf der ca. 30 km langen Strecke, die unten dargestellt ist, mit 57 Zügen pro Tag und einer Frequenz von mehr als vier Millionen Fahrgästen pro Jahr einen auch nach internationalen Maßstäben sehr intensiven Personenverkehr. 1977 erreichte er eine Frequenz von 144.836 beförderten Personen pro Streckenkilometer.
Zum Vergleich:
Österreichische Bundesbahnen 30.328 Personen jährlich je km,
Köln - Bonner Eisenbahn 152.462 Personen jährlich je km.
Diesen Verkehr bewältigen die WLB mit einem Fahrpark, dessen Überalterung vermehrte Ausfälle sowie teure und zeitaufwendige Instandsetzungen bedingt und außerdem keine Rationalisierung durch Einmannbetrieb ermöglicht. Er setzt sich aus folgenden Wagentypen zusammen:
9 Triebwagen Reihe 10, Nr. 11 - 19, Baujahr 1958, gebraucht gekauft 1969
6 Steuerwagen Reihe 90, Nr. 91 - 96, Baujahr 1958, gebraucht gekauft 1969
8 Triebwagen Reihe 20, Nr. 21 - 28, Baujahr 1927, davon vier 1975/77 gründlich instandgesetzt
4 Triebwagen Reihe 30, Nr. 31 - 34, Baujahr 1928, davon drei 1975/77 gründlich instandgesetzt
14 Beiwagen Reihe 40/50, Nr. 41 - 49, Baujahr 1908, Neue Drehgestelle 1926/30, Neue Wagenkasten 1954/77
9 Beiwagen Reihe 60, Nr. 61 - 69, Baujahr 1906
4 Beiwagen Reihe 70, Nr. 71 - 74, Baujahr 1906, Neue Wagenkasten 1950
Aus diesen Gründen war, nach Sanierung des Oberbaus, die Beschaffung neuer Fahrzeuge das dringendste Erfordernis und es wurden alle Anstrengungen auf dieses Problem konzentriert. Eine Studie ergab, daß 13 neue Triebwagen (Gelenkzüge) bereits 88 Prozent des normalen Werktagverkehrs bewältigen können; daher wurde diese Zahl als erste Ausbaustufe festgelegt. Die Finanzierung war zunächst nur für vier Triebwagen sicherzustellen. Diese wurden 1978 bestellt und im Juli und August 1979 ausgeliefert.
Die Entwicklung hat die Prognosen überholt, wie die folgende Aufstellung des Jahres 1987 zeigt:
Züge pro Tag: 94
Personen pro Streckenkilometer und Jahr: 179.260
9 Triebwagen Reihe 10
6 Steuerwagen Reihe 90
6 Triebwagen Reihe 20 und 30
7 Beiwagen Reihe 40 und 50
13 Triebwagen Reihe 100
Da jeder Triebwagen Reihe 100 zwei alte Wagen ersetzt, ist der mit 1979 vergleichbare Stand an Beförderungskapazität gleich geblieben. Der verstärkte Verkehr wird durch Einmannbetrieb und verringerten Reparaturaufwand mit 229 Mitarbeitern bewältigt (1979 waren es 261).
2. Überlegungen zur Konzeption der neuen Gelenkzüge
2.1 Konstruktive Vorgaben
Um eine kostensparende Fertigung zu ermöglichen, war vom Anfang an klar, daß möglichst auf vorhandene Konstruktionen zurückgegriffen werden muß. Es boten sich dafür die Grundlagen des österreichischen Einheitsstraßenbahnwagens an, wie er z.B. in Wien (Type E2), Graz und Linz verkehrt. Die elektrische Einrichtung mußte gänzlich neu gestaltet werden, da ein Zweirichtungswagen mit Zugsteuerung in Österreich in den letzten Jahrzehnten nicht gebaut wurde und die dadurch bedingten Minderungen derart weitreichend sind, daß die Anpassung einer vorhandenen Schaltung nicht möglich war.
2.2 Verkehrsbedingte Vorgaben
Aus den besonderen Gegebenheiten der Streckenführung und des Verkehrs der WLB ergaben sich gegenüber dem Einheitswagen folgende grundsätzliche Minderungen bzw. Festlegungen
2.2.1 Fassungsraum
Es mußte ein achtachsiger Gelenkwagen sein, da dieser sowohl im Fassungsvermögen, als auch in der Länge am ehesten den bisherigen Wagen entspricht.
alter Wagen (Reihe 10/90)
Sitzplätze: | 76 |
Stehplätze: | 138 |
Fassungsvermögen: | 214 |
Länge über Kupplung: | 28040 mm |
neuer Wagen (Reihe 100)
Sitzplätze: | 64 |
Stehplätze: | 130 |
Fassungsvermögen: | 194 |
Länge über Kupplung: | 26750 mm |
2.2.2 Fahrgastwechsel
Da die Lage der Bahnhöfe und Haltestellen auf der Überlandstrecke ein wechselweises Aus- und Einsteigen links oder rechts erfordert, müssen auf beiden Wagenseiten Türen angeordnet werden. Da jedoch der Fahrgastwechsel im allgemeinen nicht so stark wie im Straßenbahnbetrieb ist, wurde die Anzahl der Türen zugunsten eines größeren Sitzplatzangebotes auf eine doppelte und zwei einfache Türen je Gelenkwagenseite reduziert. Die bisherigen Wagen haben Ein- und Ausstiege im gleichen Umfang, was sich in der Praxis gut bewährt hat.
2.2.3 Zweirichtungsbetrieb
Die Gelenkzüge müssen für Zweirichtungsbetrieb und Zugsteuerung geeignet sein, da Kurzzüge bis Bahnhof Wiener Neudorf geführt werden, die dort ohne Schleifenfahrt die Rückfahrt antreten. Diese Notwendigkeit brachte die wesentlichsten Abweichungen gegenüber dem Einheitswagen und erforderte zwei Führerstände, beiderseits Türen, Scharfenbergkupplungen mit elektrischen Fabeg-Kupplungen, zwei Stromabnehmer und damit einen aufwendigeren Bau gegenüber dem Einheitswagen.
2.2.4 Beiwagen
Die Gelenkzüge werden ohne Beiwagen geführt, weil eine Fahrzeitverkürzung erreicht werden soll. Dies wäre aber bei der Mitnahme von Beiwagen wegen der geringeren Beschleunigung und den Steigungen bis 30 Promille nicht möglich. In den Steigungsstrecken treten außerdem im Winterbetrieb immer wieder große Schwierigkeiten im Beiwagenbetrieb auf.
2.2.5 Wagenbreite
Gegenüber 2,35 m bisher wurde mit einer Wagenbreite von 2,4 m mehr Komfort für die Fahrgäste erzielt. Eine noch größere Breite verhindert das vorgeschriebene Profil der innenstädtischen Straßenbahnstrecken.
2.2.6 Geschwindigkeit
Die Höchstgeschwindigkeit wurde auf 80 km/h angehoben, was auf der Überlandstrecke durch die höhere Fahrdrahtspannung von 850 V= ohne weiteres möglich wird, wobei sowohl die Fahrmotore als auch die Getriebe vom DUWAG-Drehgestell noch unverändert verwendet werden können.
2.3 Betriebswirtschaftliche Überlegungen
Bei allen Entscheidungen, hinsichtlich sowohl des wagenbaulichen als auch des elektrischen Teils der neuen Wagen, wurden folgende Grundsätze beachtet
2.3.1 Austauschbarkeit
Wenn möglich, Verwendung von Teilen, die bei den WLB oder den Wiener Verkehrsbetrieben als Lagerware vorhanden sind (z.B. Stromabnehmer, Überstromautomaten, Türantriebe, Schütze, Scheibenwischer). Dieser Grundsatz konnte im Verlauf der Konstruktionsarbeiten nicht immer eingehalten werden, denn so war u.a. die Türsteuerung der Wiener Type E2 infolge der von den WLB geforderten beidseitigen Ausstiege nicht ohne Änderung verwendbar und der statische Umformer der WVB wegen der zu berücksichtigenden Spannungsspitzen im WLB-Betrieb durch eine andere Bauart zu ersetzen.
2.3.2 Revisionsarbeiten
Vereinfachung der Konstruktion und Schaltung, um einerseits Fehlerquellen auszuschalten und andererseits den Wartungsaufwand zu vermindern. Es wurden Einrichtungen vermieden, die aus betrieblichen Gründen nicht unbedingt erforderlich sind, z.B. bewegliche Trittstufen, Tonbandansagen, Umschaltung der Schienenbremsen von Fahrleitungsspannung auf Batterie, Gewichtserfassung für die automatische Steuerung, Sandzuführung von außen, Rammbügel an den Stirnwänden.
Die Bemühungen, die Wagen so einfach wie möglich auszurüsten, da jeder nicht eingebaute Teil auch keine Störung hervorrufen kann, mußten in einigen Fällen zurückgestellt werden:
- Funkanlagen wurden für den Einmannbetrieb erforderlich und eingebaut,
- Fahrkartenautomaten und Tonbandgeräte zu deren Steuerung mußten im Zusammenhang mit dem Verkehrsverbund Ostregion vorgesehen werden; die Tonbandgeräte werden natürlich auch zu Ansagen der Haltestellen verwendet. Die Tonbandgeräte der neuen Wagen erhalten digitale Speicherung (keine beweglichen Teile und keine Tonbandabnützung!),
- zusätzliche Gepäckträger wurden auf Grund von Fahrgastwünschen eingebaut (die Ausnutzung rechtfertigt jedoch den Aufwand nicht),
- Heizung der Fabeg-Kupplungen wurden nachgerüstet, um Kuppelschwierigkeiten im Winter zu vermindern. Auch die halb herablaßbaren seitlichen Führerstandsfenster wurden mit Heizdrähten versehen, damit die Sicht auf die Rückspiegel immer gegeben ist.