DER WEG ZUR "ELEKTRISCHEN" (1895 - 1899)
Nach der Kundmachung des Gesetzes vom 31. Dezember 1894 über die Errichtung von Kleinbahnen beschloß die GTG im Frühjahr 1895, das vorhandene Pferdebahnnetz zu elektrifizieren und neue elektrische Linien zu eröffnen. Dazu war es jedoch nötig, die Anerkennung der Grazer Tramway als Kleinbahn im Sinne dieses Gesetzes zu erreichen und sodann die Bewilligung zur Umwandlung der Pferdebahn in eine elektrische Kleinbahn zu erhalten.
Das k.k. Handelsministerium ließ jedoch wissen, daß die Umwandlung auf Grund der bestehenden Verträge vom 25. Feber 1878 (Kollmann) und vom 25. September 1886 (Umwandlung in die GTG) nicht bewilligt werden und auch keine neuen Linien endgültig konzessioniert werden könnten, solange die GTG nicht mit der Stadtgemeinde Graz ein neues Übereinkommen betreffend die Errichtung elektrischer Bahnen getroffen hätte.
So wurde denn auch noch am 17. und 18. September 1895 die politische Begehung der von der GTG projektierten Pferdebahnlinien vom Jakominiplatz zum Griesplatz, durch die Griesgasse eventuell Tegetthoff- und Vorbeckgasse zur Annenstraße und vom Griesplatz zum Zentralfriedhof durchgeführt. Zum Bau dieser Linien kam es jedoch vorderhand nicht. Die GTG versuchte nun möglichst rasch einen neuen Vertrag mit der Stadtgemeinde Graz zu erhalten, um sodann die Konzessionsfrage lösen zu können. Dabei ergaben sich jedoch unerwartete Schwierigkeiten. Stadtbaumeister Andrea Franz trat mit einem großangelegten Projekt schmalspuriger, elektrischer Kleinbahnen in Graz und Umgebung als Konkurrent auf! Ausgehend von einer Stammstrecke, die vom Südbahnhof über den Lendplatz, eine eigene Murbrücke, durch den Stadtgraben zum Burgtor und von dort über Burg-, Opern- und Joanneumring, Radetzkystraße, Brückenkopfgasse, Rösselmühlgasse, Ungergasse, Friedhofgasse und Eggenbergergürtel zum Südbahnhof zurück führen sollte, waren Abzweigungen zum Staatsbahnhof, nach Algersdorf, Andritz und über den Hilmteich nach Mariatrost vorgesehen. Vom Kalvariengürtel aus war am linken Murufer eine Linie über den Lendkai, die Lagergasse und die Triesterstraße zum Zentralfriedhof und am rechten Murufer über den Schwimmschulkai und Stadtkai zur Radetzkybrücke vorgesehen.
Für die Grazer Stadtväter gab es daher bald eine schwere Entscheidung zu fällen: Sollte unter Aufhebung der bestehenden Verträge mit der GTG ein neuer Vertrag wegen Elektrifizierung der Pferdebahn und neuer elektrischer Linien abgeschlossen werden oder war dem Franz-Projekt der Vorzug zu geben? In der Gemeinderatssitzung vom 19. Dezember 1895 fiel dann die Entscheidung zu Gunsten der GTG. Der am 23. November 1895 abgeschlossene Vertrag zwischen der Stadtgemeinde Graz und der Grazer Tramway-Gesellschaft hatte eine Laufzeit bis zum 31. Dezember 1948 und sah im § 2 "Verpflichtung zur Einführung des elektrischen Betriebes und zum Baue neuer Linien" u. a. folgendes vor:
I. Die Grazer Tramway-Gesellschaft ist berechtigt und verpflichtet, die auf Grund des Vertrages vom 25 Februar 1878 und des Zusatzvertrages vom 25. September 1886 im Stadtgebiete Graz bereits bestehenden, dermalen mit Pferden betriebenen Straßenbahnlinien, sowie die bereits in Betrieb gesetzte Linie vom Jakominiplatze zum Schillerplatze in Graz binnen zwei Jahren in Straßenbahnlinien mit elektrischem Betriebe umzuwandeln und als solche In Betrieb zu setzen.
II. Die Grazer Tramway-Gesellschaft ist ferner berechtigt und verpflichtet, nachstehende Straßenniveau-Bahnen mit elektrischem Betriebe in Graz und dessen Umgebung zu erbauen und in Betrieb zu setzen:
- Die im Artikel 2, Absatz 4 des Zusatzvertrages vom 25. September 1886 angeführte, bereits kommissionierte Linie vom Griesplatze bis zum Grazer Zentral-Friedhofe;
- Die Anschlüsse zwischen der Kopfstation Griesplatz der im vorigen Absatze bezeichneten Linie und dem alten Netze, und zwar am rechten Murufer durch die Rößlmühlgasse und Elisabethinergasse bis zum Schienenstrange in der Annenstraße (beziehungsweise Volksgartenstraße) und am linken Murufer durch die Brückenkopfgasse, Radetzkystraße bis zum Jakominiplatze, jedoch letztere Anschlußlinie unter der Voraussetzung der Benützbarkeit der Radetzkybrücke;
- Vom Lendplatze im Anschlusse an die bestehende Linie Wickenburggasse - Volksgartenstraße durch die Keplerstraße zum Südbahnhofe;
- Von der Jakominigasse im Anschlusse an die durch letztere führende Linie durch die Schönaugürtelstraße bis zur Herrgottwiesgasse mit Anschluß an die Zentralfriedhoflinie;
- Vom Dietrichstejnplatze im Anschlusse an die Schillerplatzlinie durch die Schörgelgasse und Petersgasse bis zur Stadtgrenze;
- Die Fortsetzung der vorigen Linie nach St. Peter;
- Von der Annenstraße im Anschlusse an die bestehende Annenstraßenlinie durch die Eggenbergerstraße und Asperngasse bis zur Stadtgrenze;
- Die Fortsetzung der vorigen Linie nach Eggenberg;
- Von der Wickenburggasse im Anschlusse an die diese Straße bereits durchziehende Linie durch die Körösistraße bis zur Stadtgrenze;
- Die Fortsetzung der vorigen Linie bis nach Andritz;
- Von der Lastenstraße nächst dem Südbahnhofe im Anschlusse an die bestehende Linie über die Bahnhofgürtelstraße bis zur Wienerstraße;
- Von der Wienerstraße über den Kalvarienberggürtel bis zur Körösistraße mit Anschluß an die im Absatze 9 angeführte Linie;
- Von der Wickenburggasse im Anschlusse an diese Straße durchziehende, sowie an die im Absatze 9 angeführte Linie über den Sackkai und durch die Sackstraße bis zum Hauptplatz mit Anschluß an die schon bestehende Linie Annenstraße- Hauptplatz - Jakominiplatz;
- Von der Reiterkaserne in der Leonhardstraße bis zu dem in der Nähe des Ausganges des Stiftingtales geplanten neuen Spitale mit dem Endpunkte nächst dem Kutscherwirt, jedoch nur dann, wenn dieses Spital wirklich erbaut wird, und erst dann, wenn dasselbe in Benützung gezogen ist;
- Vom Zentralfriedhof nach Puntigam, endlich
- Im Falle der Konzessionserwerbung für die Linie Hilmteich - Maria-Trost auch diese Linie im Anschlusse an die bereits bestehende Endstation Hilmteich.
Die Gesellschaft verpflichtet sich, von obigen Linien die Linie Nr. 1 (Friedhof-Linie), Nr. 2 (die beiden Anschlüsse) Nr. 3 (die Linie vom Lendplatze durch die Keplerstraße bis zur Südbahn), und endlich Nr. 16 (die Linie vom Hilmteiche nach Maria-Trost), jedoch letztere nur unter obigen Voraussetzungen, binnen zwei Jahren zu erbauen und in Betrieb zu setzen.
Vom vollendeten vierten Jahre ab verpflichtet sich die Gesellschaft von den im § 2 weiters genannten Linien jährlich den Ausbau von mindestens 1½ Kilometer in Angriff zu nehmen und die bezügliche Strecke längstens binnen zwei Jahren vom Baubeginne gerechnet zu vollenden und in Betrieb zu setzen.
Die Stadtgemeinde kann aus obigen Linien diejenigen, beziehungsweise diejenige wählen, welche sie zunächst gebaut haben will, doch muß die zu erbauende neue Linie einen Anschluß an die schon bestehende Linie haben.
Falls die Gesellschaft in einem Jahre den Ausbau von mehr als eineinhalb Kilometer neue Streckenlänge in Angriff nimmt, so wird ihr der Überschuß auf die in der Bauperiode des nächsten Jahres in Angriff zu nehmenden neuen Streckenlängen gutgerechnet.
Die in den vorstehenden Absätzen festgesetzte zwei-, beziehungsweise vierjährige Frist beginnt von dem Tage an zu laufen, an welchem die Gesellschaft die unverzüglich nachzusuchende rechtskräftige Zustimmung der Behörden zur Anlage der Zentralstation, sowie zur Einführung des elektrischen Betriebes erhält.
Der Beginn der einzelnen Baufristen ist weiter an die Bedingung geknüpft, daß unbeschadet der Bestimmung des § 15 die für die betreffende Linie in Benützung kommenden Straßen der Gesellschaft in fertiggestelltem Zustande übergeben werden, daß dort, wo nicht städtische Straßen zur Anlage der fraglichen Linie verwendet werden müssen, die Zustimmung der zuständigen Straßenverwaltungsbehörde, und daß endlich die Konzession seitens der hohen k. k. Regierung erteilt wird."
Trotz dieser vertraglichen Regelung mit der Stadtgemeinde Graz konnte die GTG die nötigen Konzessionen seitens des k. k. Eisenbahnministeriums nicht erlangen. Andrea Franz bewarb sich nach wie vor um die Konzessionen für elektrische Bahnen in der Umgebung von Graz. Zu diesem Zeitpunkt waren ja Eggenberg, Gösting, Andritz, Liebenau, Puntigam, Waltendorf, Straßgang, St. Peter noch eigene Gemeinden, die sich vom "großen" Graz in bezug auf Verkehrsverbindungen bevormundet fühlten! In einer Resolution vom 1. Juni 1897 wurde der k. k. Eisenbahnminister ernstlich gebeten, "durch Nichtertheilung der Concession für die einzelnen laut Vertrag der Stadtgemeinde Graz mit der Tramwaygesellschaft projectirten Linien die Schaffung eines Monopols für die Landeshauptstadt zu behindern". Es hieß aber dann auch abschwächend weiter: "Nachdem es jedoch den Vertretungen der versammelten Gemeinden nicht darum zu thun ist, das Gedeihen der Landeshauptstadt irgendwie zu behindern, nachdem weiter ein darauf hinzielendes Gebahren auch für die Gemeinden der unmittelbaren Umgebung von Graz nicht vorteilhaft wäre, weil das Vorwärtsstreben und Vorwärtskommen des Einen mit dem Emporblühen des Andern Hand in Hand geht, bitten die Ergebendst Gefertigten vor Ertheilung der Concession für irgendwelche Linie, sei es an die Stadtgemeinde Graz oder an die Tramwaygesellschaft, Ersterer und Letzterer nahezulegen, mit den Umgebungsgemeinden das Einvernehmen zu pflegen."
Am 24. Juni 1897 berichtete die "Tagespost" auf Seite 2 unter dem Titel "Von der electrischen Bahn" "Herr Baumeister Andrea Franz hat um die definitive politische Begehung der von ihm projectirten elektrischen Kleinbahn von Andritz nach Gösting und Eggenberg angesucht und dürfte dem sicheren Vernehmen nach seitens des Ministeriums dem Ansuchen ehestens stattgegeben werden.
Ein Monat später schreibt die "Tagespost" am 24. Juli, wieder auf Seite 2:
"Vor einigen Tagen erhielt der Bahnbauunternehmer, Herr Andrea Franz, einen Erlaß des Eisenbahnministeriums, welcher auf die von ihm angesuchte Trassenrevision und politische Begehung der von ihm zum Bau projectirten Bahnstrecken Graz - Eggenberg - Wetzelsdorf und Graz - Andritz bezug nimmt. Das Eisenbahnministerium verlangt in diesem Erlasse, daß sich die Bahnunternehmung unverzüglich an die Stadtgemeinde Graz wende, um mit derselben über ihr Einverständnis mit dem Bau der erwähnten Tracen, soweit dieselben das Stadtgebiet berühren, ins Reine zu kommen. Früher könnte nämlich weder eine Revision der Trace noch eine politische Begehung auf jenen Teilflächen stattfinden, welche im Stadtgebiet liegen.
Aus diesem Erlasse geht hervor, daß eine Ratifizierung des von der Grazer Stadtgemeinde mit der Grazer Tramwaygesellschaft geschlossenen Vertrages von Seite des Eisenbahnministeriums noch nicht vorliegt, da sonst das letztere das Ansuchen um die Vornahme der Tracenrevision und politische Begehung der erwähnten Strecken mit Rücksicht auf die in das Gebiet der Stadt Graz fallenden Teilstrecken der projectirten Bahn wohl kurzweg abgelehnt hätte. Das Ministerium scheint also für die näheren Verhandlungen zwischen deren Unternehmer, Herrn Franz und der Stadtgemeinde Graz, Raum offen halten zu wollen."
In welcher Weise sich endlich die Landeshauptstadt Graz und die Umgebungsgemeinden dann doch geeinigt haben, verschweigen die erhalten gebliebenen Akten. Jedenfalls wurden der GTG vom 4. - 6. August 1897 die Neubaustrecken Jakominiplatz - Radetzkystraße - Rösselmühlgasse - Elisabethinergasse, Griesplatz - Karlauerstraße - Herrgottwiesgasse - Zentralfriedhof und Südbahnhof - Keplerstraße - Lendplatz kommissioniert. Die "politische Begehung und Enteignungs-Verhandlung bezüglich der von der Grazer Tramway-Gesellschaft vorgelegten Projecte für die Einrichtung des elektrischen Betriebes auf den Tramway-Linien", die vom 5. - 10. September 1898 stattfand, gab die Grundlage zur Erteilung der Baubewilligung durch das k. k. Eisenbahnministerium, die am 22 Oktober 1898 erfolgte.
Es wurden mehrere elektrotechnische Firmen zur Offertabgabe aufgefordert und schließlich - Ende des Jahres 1897- der Firma Siemens & Halske in Wien der Zuschlag erteilt, wobei jedoch die Verlegung und der Bau der neuen Geleise sowie die Verstärkung des Oberbaues der alten Geleise durch die Grazer Tramway-Gesellschaft selbst im eigenen Wirkungskreise durchgeführt wurden. Die Hochbauten für die Kraftstation wurden am 30. Juni 1898 von Baumeister Schönauer in Angriff genommen. Ab Juli desselben Jahres begann man mit der Verstärkung des Oberbaues der alten Linien und mit dem Bau der Geleise für die neuen 3,5 km langen Linien. Gleichzeitig erfolgte auch die Ausführung der Oberleitungen.
Der niederschlagsarme Sommer und Herbst des Jahres 1898 sowie der folgende milde Winter begünstigten ungemein die Arbeiten, und so konnte bereits Ende April 1899 die erste Dampfmaschine für die Stromerzeugung und am 2. Mai 1899 der erste Motorwagen in Gang gesetzt werden.
Am 15 Juni 1899 wurden nach vorhergegangener anstandsloser technisch-polizeilicher Prüfung zwei elektrische Linien mit neun Motorwagen in Betrieb genommen und am Sonntag, dem 23. Juli 1899, feierte Graz Abschied von der Pferdebahn.
Dkfm. Herbert Wöber