Flucht in die Zukunft
Not motiviert: Aus dem fast aussichtslosen Überlebenskampf einer Museumsbahn ist ein technisches Entwicklungszentrum mit Schwerpunkt Schienen-Nahverkehr geworden.
"Freischaffender Eisenbahner", sagt der 27jährige Geschäftsführer der "Florianer Bahn Forschungs- und Entwicklungsgesellschaft", Ing. Georg Hillbrand, wenn man ihn nach seinem Beruf fragt. Er ist mit der "Flocki", wie die Florianer Ihre alte Überland-Straßenbahn nennen, groß geworden. Während des HTL-Studiums in Linz konnte er an der inzwischen stillgelegten Strecke sich technisch so ausleben, wie er es zu Hause nicht durfte. Heute ist Hillbrand Chef einer Gesellschaft, die nicht nur die Wiederinbetriebnahme der Strecke im Auge hat, sondern sich in der Fachwelt in der Entwicklung und Erprobung neuer Technologien einen Namen gemacht hat.
Am 31. Dezember 1973 ereilte die Florianerbahn in Oberösterreich dasselbe Schicksal, das Jahre zuvor schon die Salzkammergut-Lokalbahn und später die Steyrtalbahn getroffen hatte: Unrentable Nebenstrecken wurden unter Verweis auf ihre Störung der Straßenverkehrswelt kurzerhand eingestellt. Der neuneinhalb Kilometer langen Bahn zwischen Linz-Ebelsberg und Sankt Florian wurde der Neubau der Traunbrücke zum Verhängnis: Ab da verkehrte die Linzer Straßenbahn nämlich nicht mehr bis Ebelsberg, sondern endete weit vor dem nördlichen Traunufer. Dadurch verlor die Florianerbahn ihren Anschluß in die Stadt, zudem walzten die Planer eine vierspurige Bundesstraße durch das dörfliche Ebelsberg. Auch hier war die Bahn im Weg.
1910 war sie als Verbindung von Linz nach Steyr geplant worden, der Kriegsausbruch beendete das Vorhaben in Sankt Florian. 60 Jahre lang führte das Privatunternehmen Stern und Hafferl den Betrieb, Anfang der 70er Jahre war die Infrastruktur der Strecke am Ende, trotz konstant gebliebener Fahrgastzahlen ging der "Flocki" der Atem aus, bevor noch die Anlagen und Fahrzeuge in ihre Einzelteile zerfielen. Sofort nach Einstellung des Betriebs pachtete die Österreichische Gesellschaft für Eisenbahngeschichte (ÖGEG) die Bahn, rief einen Arbeitskreis "Museumsbahn Sankt Florian" zur Rettung der Strecke ins Leben und konnte so die unwiderrufliche Zertrümmerung der Anlage verhindern.
Jetzt, nach 20 Jahren, konnte sich die ÖGEG wieder in ihren Kernbereich, die Erhaltung von Dampfloks, zurückziehen. An ihrer Stelle kümmern sich nun die Florianerbahn-Gesellschaft und der Club Florianerbahn ums Ganze.
Der Dschungel-Expreß und das Puff in der Kurve
Noch bietet sich die Strecke dem Betrachter als ländliche Idylle: In Ebelsberg zeugt nichts mehr vom ehemaligen Schienenverkehrsmittel. Hinter der Kaserne am Stadtrand ragen seltsame mit Efeu umrankte Masten in gleichmäßigem Abstand neben der Straße aus der Wiese. Ein Stück weiter, am Waldrand, ringen armdicke Baumstämme und rostige Schienen um die Beherrschung des Bodens. In der sogenannten Uferkurve führen Gleise direkt an einem einsamen rotlichtzuckenden Freudenhaus vorbei. Plötzlich aber, nach einer Autobahnbrücke, zeigen Holzmasten mit charakteristisch gebogenen Auslegern den Schienenweg quer über die Felder deutlich und selbstbewußt. Ein Stück weit schlingern die Gleise auch nicht mehr dahin, sondern sind schnurgerade, verschweißt und liegen auf wuchtigen Betonschwellen. Dann folgt wieder eine Schaukelpiste, in der Ortschaft Taunleiten ein hochmoderner Bahnübergang, es geht vorbei an der Haltestelle Metallgießerei, Zugang zur Nachfolgerin der berühmten Glockengießerei - beide inzwischen in Konkurs. Schließlich als letzte Etappe die Einfahrt neben einem Birkenspalier im Markt Sankt Florian. Endstation ist vor der Remise. Das Stück zwischen ihr und dem romantischen alten Bahnhof wurde kurz nach Einstellung der Strecke mit einem Bauhof der Gemeinde verbarrikadiert. Der abgenabelte Bahnhof, dem man seine ehemalige Funktion immerhin noch ansieht, ist das Denkzentrum der Forschungs- und Errichtungsgesellschaft.
Jung, optimistisch, kompetent
Sie ist drei Jahre alt und ernährt sechs Mitarbeiter. Hillbrand hat sich mit drei ehemaligen HTL-Mitschülern und langjährigen Freunden zusammengetan. Hinzu kommen rund zwei Dutzend freiwillige Helfer. Ihnen allen ist eines gemeinsam: "Wir wollen nicht auf Kosten der Zukunft Gewinne in der Gegenwart machen, sondern mit den Händen der Gegenwart etwas für die Zukunft tun." So arbeiten sie hartnäckig an einer Wiederinbetriebnahme der Florianerbahn als ernstzunehmendem Überlandverkehrsmittel. Finanziert wird dieses Vorhaben zum Großteil damit, daß die Strecke der Industrie als Spielwiese zur Erprobung ihrer Produkte angeboten wird und man sich selbst als technischer Problemlöser anbietet. Den Florianern dürfte erst langsam aufgehen, was sich da vor ihren Haustüren abzeichnet: "Früher hat man uns für ferrosexuelle Spinner gehalten, die mit den sterblichen Überresten der Flocki herumspielen", erzählt Hillbrand. Inzwischen gibt es öffentliche Gelder, und auch in der Industrie spricht sich das produktive Exotikum im Osten Oberösterreichs herum. Das Image des Unternehmens steigt - sogar im eigenen Land.
Hillbrand hat schon früh begonnen, mit seinen Ideen Aufmerksamkeit zu erlangen. Die Verwirklichung eines Kleinkraftwerks zur Stromversorgung einer Bergbauernfamilie auf 2000 Metern Seehöhe hat ihm schon während der HTL Zeit eine Reihe von Preisen eingebracht. Die Entwicklung eines Doppelstockwagenmodells mit niveaugleichen Einstiegen für Passagiere mit Kinderwagen, Fahrrädern oder sperrigen Transportstücken hat ihm den Sonderpreis der ÖBB anläßlich 150 Jahre Bahn vor sieben Jahren eingebracht. Inzwischen werden in Österreich sowohl Niederflur-, als auch Doppelstockwaggons sogar gebaut und eingesetzt. "Ich möchte nicht als Wanderprediger durch die Gegend laufen, sondern sagen, schaut her, das gibt es, das ist möglich" sagt Hillbrand. Ihn reizt das Spannungsfeld aus sicherheitstechnischen Erfordernissen, betriebswirtschaftlichen Zwängen, technischer Weiterentwicklung und den unsichtbaren Fäden der Psychologie, an denen menschliche Entscheidungen hängen.
Hillbrands Team denkt ebenso: "Wir haben uns gesagt: Wir glauben an die Zukunft der Bahn, worauf warten wir noch, fangen wir an damit." Jene Arbeit, die anfangs dem Wiederaufbau der Bahn dienen sollte, ist damit zum Haupterwerb geworden: Die Beschäftigung mit neuen Technologien auf dem Bahnsektor. So hat man auf einem alten Triebwagen eine Sensorschleifleiste zur Erkennung von Fahrleitungsfehlern montiert. Die sichtbaren Ergebnisse liefert ein Monitor im Triebwagen. Gemeinsam mit der oberösterreichischen Firma Fronius haben die Florianer-Jünger eine neue Methode des Schienenschweißens für hohe Qualitätsansprüche entwickelt. Plasser und Theurer hat dafür weltweit den Vertrieb übernommen.
An eine Genfer Firma wurde soeben eine Lizenz verkauft. Die Verkehrsbetriebe von Stockholm, Trondheim und Bonn werden von Sankt Florian aus beraten, für die Straßenbahnen von Blackpool und Timisoara Konzepte entwickelt, Planungen für ein finnisches Schienenwalzwerk und für Nucor-Steel in den USA vorgenommen. Selbst entwickelt hat die Gesellschaft ein Laservermessungsgerät zur berührungslosen Erfassung von Radsatzprofilen sowie eine Mehrzweckbaggerschaufel mit integrierten Greiffingern. "Unser Hauptkapital ist die mangelnde Kapitalstruktur", meint dazu Systemkybernetiker und Mitgesellschafter Frederic Vester. "Not macht erfinderisch", nennt es der Nichtwissenschaftler.
Nicht nur Schienenschweiß-Experimente, auch Infrastrukturtechnik
Kurz vor der Einfahrt nach Sankt Florian ist die derzeit modernste Lichtzeichenanlage mit integrierter Straßenüberwachung an einer Kreuzung Schiene-Straße installiert: Alle wichtigen Parameter der Verkehrsströme an dieser Kreuzung können hier Online beobachtet und statistisch ausgewertet werden: Die Zahl der Autos, die Verspätung des Linienbusses, die Geschwindigkeit des Zuges, der sich ächzend und knarrend heranschiebt. Rechner, Datentechnik und Induktionsschleifen in der Straße machen es möglich. Erprobt wird der Prototyp der neuen Lichtzeichenanlage für alle Kreuzungen von Straßenbahnen auf eigenem Gleiskörper in Städten: Auf der Tafel mit dem Signallicht sind Tramwaysymbol und Andreaskreuz aufgemalt.
So beschäftigt sich die Forschungs- und Errichtungsgesellschaft mit der Sanierung, Instandhaltung und dem Ausbau der Infrastruktur ihrer Bahn - das ist der Ausgabeposten - und mit der Planung, Entwicklung und Beratung für Zulieferer und Bahnbenützer - das ist der Einnahmenposten. Kann man davon leben? Hillbrand: "Ja, mehr noch, es leben wir und die Bahn." Der Florianerbahn-Geschäftsführer vergleicht die Arbeit seines Ingenieurbüros mit der Quersubvention der städtischen Verkehrsbetriebe durch die Elektrizitätswerke. Hinzu kommt die Mehrfachnutzung der Bahn: Als Museums- und Versuchsstrecke, als Transportmittel und als Selbstverwirklichungsmöglichkeit vom Hilfsarbeiter bis zum Manager. "Wir haben den riesigen Wettbewerbsvorteil, daß wir selbst umsetzen können, was wir predigen", sagt Hillbrand. Somit vermeide man Realitätsverlust.
Ziemlich kühne Pläne, trotzdem Chancen auf Verwirklichung
Die jetzigen Sonderfahrten sollen in planmäßigen Touristenverkehr umgewandelt werden. Wenn die Linzer Verkehrsbetriebe ESG ihre Straßenbahn nach alter Weisheit wieder bis Ebelsberg verlängert haben werden, also der Gleisanschluß wiederhergestellt ist, will auch die Florianerbahn wieder den Status einer Straßenbahn erhalten: Auf durchgehend geschweißten Schienen mit Spannbetonschwellen und geschraubter Befestigung, unter neuer Oberleitung im alten Stil sollen mit neuen Garnituren 80 Stundenkilometer erreicht werden. In der Uferkurve wird eine Verknüpfungsstation Linz-Ebelsberg mit der Westbahn entstehen, die die Attraktivität der "Flocki" weiter heben wird.
Auch wollen die Florianer Bahner ihre und die Linzer Tramway voll kompatibel machen: Immerhin haben beide dieselbe Spannung von 650 Volt und dieselbe seltene Spurweite von 900 Millimetern. Nur die Tramway von Lissabon, eine Vorortestrecke in Stockholm, eine kleine deutsche Grubenbahn, die Werksbahn im Chunnel, die "Mollybahn" an der Ostsee und eine Kohlebergbaubahn südlich von Leipzig fahren mit solchem Radabstand. Leipzig stellt übrigens seinen Betrieb auf Förderband um: Im selben Ausmaß wie das dortige Bahnsystem schrumpft, wächst es in Sankt Florian. Schwellen aus den Lagerbeständen des Bergbaus treffen ein, eine Gleisstopfmaschine, die vor sieben Jahren auf der Florianerbahn erprobt wurde, kehrt nun als deren Eigentum zurück. Auch eine Diesellok und mehrere Plattenwagen stammen aus dem Osten Deutschlands.
Insgesamt gibt es für den kleinen Wirtschaftsbetrieb in Sankt Florian fünf Finanzierungsformen für den 100 Millionen Schilling teuren Ausbau ihrer Bahn: Zum einen freiwillige Arbeiten und Einnahmen aus Fahrten. Weiters "Abfälle" der Großindustrie. So kamen die Bahnfreunde günstig zu fünf nagelneuen Unterwerken eines deutschen Verkehrsunternehmens, das wegen plötzlich extrem erhöhter Strompreise vom geplanten O-Busbetrieb auf Dieseltraktion umstellen mußte.
Jonglieren mit der Marie
Geld kommt auch durch Forschungs- und Werbekooperationen herein. Die kontrastreiche Gegenüberstellung von Nostalgie und Innovation steigert die Publikumswirksamkeit. Auf dem kilometerlangen Laufsteg mit Patina präsentieren sich verschiedene Produkte dem Fachpublikum, das immerhin auch aus Chicago und Tokyo kommt, noch nachhaltiger. Letzte Finanzquelle sind öffentliche Unterstützungen. So billig kommt die Öffentlichkeit nicht so bald an eine Bahninfrastruktur, sagen die Florianer stolz. Aber ihr Projekt, geben sie zu, ist auch nicht maßgeschneidert für die Sanierung sämtlicher österreichischer Nebenbahnen. Jeder müsse seine individuellen Möglichkeiten erkennen und nutzen. "Wir wollen nicht riesengroß werden, sondern ein bewegliches, kleines und krisenorientiertes Unternehmen sein", meint Hillbrand. Und er nennt Kennworte wie Praxisnähe, Internationalität, Effizienz, Kreativität und Ganzheitlichkeit.
Zweites Standbein der Florianerbahn ist der Club: Ihn gibt es seit einigen Jahren. Er verwaltet die Oldtimer: Je eine Florianer, eine Linzer, eine Gmundner und eine Pöstlingherg-Garnitur. Mit den Fahrzeugen werden die Sonderfahrten durchgeführt etwa der erste fahrende Stammtisch -, die örtliche Gastronomie versorgt die Teilnehmer: Vom Ritteressen im Viehwaggon bis zum Bierfaß auf der Strecke.
Grundlage aller Arbeit ist die fächerübergreifende Philosophie: "Was hilft mir die schönste Jahresbilanz, wenn ich in drei Jahren eine scheußliche Lebensqualität habe", sagt Georg Hillbrand. "Das gilt auch umgekehrt. "Es werde zu wenig vernetzt gedacht, Monokulturen würden gezüchtet. Nicht Einzelfaktoren wollen die Bahnretter von Sankt Florian mit ihrem Werken maximieren, sondern Gesamtsysteme optimieren: "Unsere Spezialität ist, nicht spezialisiert zu sein."
Text: STEFAN MAY