Nostalgieverkehr der Österreichischen Bundesbahnen

Von Gerhard Soukup, ÖBB Geschäftseinheit Nostalgieverkehre

NOSTALGIEFAHRTEN - UNGELIEBTES KIND ODER ERFOLGREICHE MARKTNISCHENBEARBEITUNG?

Wenn man einen Eisenbahner auf Nostalgiefahrten anspricht, gibt es eigentlich nur zwei mögliche Reaktionen - entweder heftige Ablehnung à la "Hört mir doch auf mit dem alten Graffel, das gehört doch längst verschrottet!" oder Begeisterung, sofern der Betreffende selbst ein Dampflokfanatiker (böse Stimmen sprechen auch von "Ferrosexuellen" oder "Pufferschleckern") ist - aber kalt gelassen wird von diesem Thema niemand.

Sehen wir uns einmal die Argumente der Nostalgiegegner an: Viele aus dieser Gruppe sind vor allem deshalb fürs Verschrotten, weil sie durch diese Sonderfahrten mehr Arbeit haben: Die alten "Dampfer" mit ihren speziellen technischen Erfordernissen (Pausen zum Wassernehmen etc.) machen ein Umorganisieren der altgewohnten Arbeitsabläufe und ein genaueres Studium der einschlägigen Vorschriften notwendig. Fahrzeiten, Höchstgeschwindigkeiten und andere Parameter sind nicht so einheitlich zu berechnen wie bei den modernen Garnituren - mit einem Wort, wo es dampft und raucht, muß immer irgendeine Extrawurst gebraten werden. Und das soll sich auszahlen für die paar Ewiggestrigen?

Sind es tatsächlich nur einige, wenige? Und sind es wirklich nur schrullige Träumer, die den Anschluß an die Gegenwart versäumt haben? Wenn man sich die Entwicklung des Bereichs Nostalgieverkehr ansieht, kommt man zu anderen Schlüssen: Aus kleinen, fast hobbymäßigen Anfängen mit einigen Fahrten im Monat, die von engagierten Kundenberatern neben ihrer übrigen Tätigkeit organisiert wurden, entwickelte sich im Lauf eines Jahrzehnts eine eigene Geschäftseinheit, die pro Jahr ca. 1850 Veranstaltungen abwickelt und damit einen Umsatz von rund 45 Millionen ÖS erzielt - das alles mit nur 3 Mann, die sich nicht nur um den Verkauf, sondern auch um Produktion, Disposition und die Erhaltung der Fahrzeuge kümmern!

In diesen fast 2000 Fahrten sind sowohl jene von den ÖBB veranstalteten als auch die Charterreisen enthalten, die von Firmen, Vereinen oder sonstigen Organisationen bestellt werden, sei es als Geburtstagsfeiern, Betriebsausflüge, Incentivereisen, Werbefahrten oder sonstiges. Die Routen und Ziele verteilen sich über ganz Europa; die Fahrgäste sind keineswegs nur jene verschrobenen Einzelgänger mit der (Video-)Kamera, die jedem Fotohalt entgegenfiebern und für die der Weg schon das Ziel ist, sondern es sind Männer, Frauen und Kinder aus den unterschiedlichsten Gesellschaftsschichten, die nur der Wunsch eint, einmal auf eine andere, eben die nostalgische Art, zu einem Ziel zu gelangen. Dieses Ziel, sei es ein Volksfest, eine Landesausstellung oder einfach eine bestimmte Stadt oder Region, die es zu entdecken gilt, ist für die meisten Fahrgäste ausschlaggebender als das Triebfahrzeug, welches sie dort hinbringt. Dennoch ist der eigene Reiz, der von den alten, grünen Schürzenwaggons und den Dampfrössern und Elektrokrokodilen ausgeht, natürlich ein zusätzliches Atout und verstärkt das Gemeinschaftserlebnis einer solchen Fahrt, die für viele eingefleischte "Gasfußindianer", die vorher selten bis nie auf Schienen gereist sind, zu einer völlig neuen Erfahrung und zum Beginn eines Umdenkprozesses werden kann.

Und hier schließt sich der Kreis: Warum sollten Lycaon, Pullman & Co. nicht, wenn auch auf Umwegen, für die moderne Bahn werben? Wer das Reisegefühl in ihnen kennengelernt hat, möchte vielleicht auch einmal den Platz am Volant seines Pkw mit einem Fensterplatz in einem Intercity vertauschen ...