Eine Fahrt mit der niederösterreichisch- steirischen - Alpenbahn
(Liebevolle Betrachtungen während einer Bahnfahrt nach Mariazell aus den Gründerjahren)
Diese Bahnlinie gilt als Touristenattraktion ersten Ranges, die sich einer ständig steigenden Frequenz erfreut. Täglich verkehren 6 Züge nach Mariazell und zurück. Durch die früher so stillen Täler der Pielach, Natters und Erlauf pulsiert neues Leben; die ganze Landschaft bis hinein ins Salzatal scheint befruchtet, wie die dürre Heide nach regenfeuchten Tagen. Durch das Fehlen von Fabriksanlagen ist die Gegend gänzlich rauchfrei und daher vorzüglich zur Erholung geeignet. Es wird niemand gereuen, diesem Fleckchen Erde ein paar Tage gewidmet zu haben.
Ausgangspunkt der Stecke ist die alte Kreisstadt St. Pölten. An diesem bedeutenden Verkehrsknotenpunkt beginnt unsere dreistündige Bahnfahrt nach Mariazell, dem berühmten Wallfahrtsort in der Steiermark. Schon bald nach dem St. Pöltener Lokalbahnhof erreichen wir die Wasserscheide zwischen Traisen und Pielach und blicken hinein in das Gebiet, nach dem uns die Sehnsucht drängt; in die Bergwelt rings um den Ötscher, jenen mächtigen Felsbogen, der über die Waldkuppen emporsteigt. Einzelne Gehöfte mit ihren Wiesen und Ackerflächen sind lieblich hineingestreut in die Landschaft. Plötzlich befinden wir uns lärmend auf einer Brücke und überqueren die Pielach, eine herrliche und unverfälschte Tochter der Berge. Eine ausgedehnte, lichte Ebene breitet sich nun beiderseits des Bahndammes vor uns aus. Im Norden erscheint der Dunkelsteinerwald reit den Ruinen Hohenegg u. Osterburg. Vorbei am stattlichen Markt Ober Grafendorf eilen wir dem Süden zu und halten Einfahrt in das Tal der Pielach, gebildet durch die beiderseits herandrängenden Hügelketten. Man erfreut sich blühender Obstgärten, die überall von den Hängen grüßen, sowie der fruchtbaren Feldstreifen, welche die Talsohle überziehen. In altem Eichenbestand verborgen erblicken wir rechts die Ruine Waasen. Langsam rücken die Berge näher und das dunkle Grün der Wälder wirkt erfrischend auf Herz und Gemüt. Der Zug eilt an steiler Berglehne dahin u. manch finsterer Seitengraben wird übersetzt. Stolz blickt die Ruine Rabenstein von steilem Gehänge und zeigt uns die letzten Reste des einstigen Palas.
Zwischen Ufergebüsch und Talwand gebt es weiter und wir erreichen die Station Steinschal-Tradigist. Bald grüßt uns von einer Anhöhe zur linken Seite das geschichtsträchtige Andreaskirchlein und schon nähern wir uns dem Herzen des Pielachtales, dem Markt Kirchberg. Majestätisch blickt der Turm des Gotteshauses auf das weit geöffnete Tal hernieder. Mutter Natur hat hier nicht gegeigt, denn anmutig und poesievoll ist diese Gegend. Am alten Schloß geht unsere Fahrt vorbei und wieder umgibt uns fruchtbares Weideland. Wir sehen weidende Herden, deren Glockenspiel die Stille des Tales durchklingt. Hie und da der blaue Rauch einer einsamen Köhlerei und unter uns das schillernde Band der Pielach. Je höher und steiler die Talränder nun ansteigen, desto mehr beengt und beschattet sich das Tal. Das Flußbett ändert sich alle Augenblick, hier ein liebliches Wiesenplätzchen zeigend, dort wieder Bahn und Straße durch eine schmale Klause drängend, in ihren Krümmungen einer Seeschlange gleich. Nach Loich kommen wir an der Schödlmühle vorüber und nach einer längeren Felspassage erblicken wir die Mauerreste des großen Blendgarten gegenüber der Haltestelle Weidenburg. Dann, auf massigem Felsblock, gewahren wir als Reste einer einst starken Zwingburg, die Ruine Weidenburg. Tiefes Schweigen ruht über den öden, geborstenen Räumen und immer mehr schreitet der Zerfall durch die Gemäuer. Uns führt der Zug wieder fort in eine finstere Talenge. Da ertönt das Signalhorn u. plötzlich umgibt uns tiefe Nacht; wir passieren den Weißenburgtunnel. Aber bald ist es wieder Tag und in großem Bogen herumkommend haben wir ein liebliches Eiland vor uns. Bezeichnend der Name für dieses waldumschlossene Plätzchen - Schönau. Nach kurzer Fahrt übersetzen wir die Brücke bei "Gillis" und erblicken die gleichnamige Kapelle.
Hier verläßt uns die Pielach südwärts ins Schwarzenbachtal und wir begrüßen die Natters als Begleiter auf unserer Fahrt. Vorerst scheint jedoch ein mächtiger Bergstock das Tal abzusperren und wir empfinden eine drückende Einsamkeit, unterbrochen nur vom Lärmen des Flusses in der schmalen Klamm. Wie wohltuend erleben wir darauf die Hinfahrt in das Frankenfelser-Tal mit dem lieblichen, farbenprächtigen Wiesenplan, der uns süßesten Blumenduft entgegensendet. Eingebettet in die umliegenden Bergeshöhen erblicken wir vor uns in der Mitte des Tales die zierliche Häusergruppe mit dem Kirchturm.
Frankenfels ist der kleinste Markt von Niederösterreich. Wie sanfte, grüne Teppiche breiten sich Wiesen und Wälder rund um die Ortschaft; beherrschend erheben sich im Hintergrund die senkrechten Falkensteinmäuer. Die ganze Gegend ist charakterisiert durch viele graue Steinhaufen, die ringsum in den Feldern liegen und den Eindruck zerschmetterter Wagenburgen auf einem Schlachtfeld vermitteln. Wir aber nehmen Abschied von Frankenfels, diesen lieblichen Talflecken mit seinem naturverbundenen Gepräge. Es läßt sich schon begreifen, warum seine Bewohner so schwer von hier lassen. Links an der Mündung des Fischbaches entdecken wir eine Mühle mit Sägewerk. Unaufhörlich spritzt es silberne Perlen dem Sonnenlicht entgegen, ein Bild echten Zaubers. Als sich nach einigen Kilometern das Tal erneut zu einer kleinen Streusiedlung weitet, erreichen wir die Haltestelle Boding. Am gegenüberliegenden Ufer der Natters ein kleiner Betrieb, die Feilenhauerei Schmidinger. Kurz danach übersetzen wir auf hoher Brücke das Tal, kühle Luft umweht uns und dunkle Schatten lagern im Grunde. Bevor unsere Talfahrt aber ihrem Ende zugeht, hält der Zug noch in der großen Station Laubenbachmühle bei der Schmelzhütte. Ein längerer Aufenthalt gestattet, sich in der Restauration bei Trank und Speise zu laben.
Die weitere Trassenführung der Alpenbahn wird gern mit jener über den Semmering verglichen. Und sie hält diesem Vergleich sowohl in Hinblick auf die großartigen Kunstbauten, als auch auf die Schönheit des Landschaftsbildes vollkommen stand.
Von Laubenbachmühle geht es weiter die Natters entlang, vorbei an der Haltestelle Unter-Buchberg mit dem alten Kohlenbergwerk. Mit Staunen blicken wir auf den gewaltigen, bewaldeten Rücken des Mäuerlberges, an dem unser Zug emporklimmen muß. Kurz vor dem Talschluß wendet sich die Bahn in scharfer Kehre nach rechts der Berglehne zu. Durch Einschnitte und über mehrere Viadukte gelangen wir in vielfachen Krümmungen höher und höher. Mit steigendem Entzücken bewundern wir das prachtvolle Voralpenland, das wie in einem Rundgemälde an uns vorüberzieht. Am Buchberg gebt es vorbei und wir erreichen das Gschlößlgehöft und erblicken für kurze Zeit die ganze Frankenfelser Berglandschaft und tief unter uns eingebettet die Natters, ein unbeschreiblicher Anblick. Lärmend durchfährt der Zug einen tiefen Einschnitt und wieder nach Süden drehend befinden wir uns auf der dritten Terrasse der Alpenbahn. Am Streckenabschnitt zwischen Winterbach und Puchenstuben wird die Aussicht immer umfassender und reizvoller. Zu welcher Jahreszeit immer man sich hier befindet, stets übt der Anblick diese Panoramas einen tiefen Zauber aus. Umgeben von grünem Hochwald geht's über Rinnen und Gräben und immer wieder sind wir von neuen Bildern des Natterstales angezogen. Mit jedem Streckenkilometer klettert die Bahn höher, umzieht den Mäuerlberg und den Florkogel, um dem 2369 Meter langen Gösingtunnel zuzueilen. Wir nähern uns auch der Wasserscheide zwischen Natters und Erlauf. Schier bange klopft das Herz, hört man den langgezogenen Ton des Signalhornes, der uns für die finstere Unterwelt vorbereitet. Tiefe, schier unheimliche Stille herrscht in den Wagenräumen und wir fühlen ein beklemmendes Frösteln. Im Inneren des Berges trieft es aus einer verletzten Ader und wer sich hinauswagt ins Dunkle, den empfängt die Taufe der Gnomen, die das Bergloch hüten. Da - eine Ewigkeit schien es - lichtet es sich vorne etwas. Die Fenster fallen rasch nieder und frische Höhenluft strömt in unsere Lungen. Wir halten in Gösing, der höchstgelegenen Station der Mariazellerbahn. Da ist er nun zu unserer Rechten, der alte Riese mit seinem zerfurchten Gesicht und gewaltigen Felsrippen, der sagenumwobene Ötscher.
Aus einem leuchtend grünen Talkessel tief unter uns steigt er, zum Greifen nahe, empor. Ganz frei erhebt sich sein Kegel rund 1400 Meter über das Tal und wendet uns einen dunkel gebänderten Zackengrat zu, den er im Bogen herumschwenkt, als schleppe ein Ungeheuer der Vorzeit seinen stacheligen Schwanz nach. Im grellen Sonnenlicht blinken die Schneefelder und senden uns eine frische Brise als Gruß der Alpen entgegen. Jetzt erst überblicken wir das ganze Panorama bis hinein in die steirische Bergwelt. Es ist überwältigend, was sich vor den entzückten Augen ausbreitet, sodaß stumm und wie traumversunken unsere Blicke daran haften bleiben. Durch die von Nordwinden geschützte, nebelfreie Lage und die ozonreiche Luft ist Gösing wie geschaffen für einen Höhenluftkurort. Ab Gösing beginnt die Talfahrt auf einer kühn gezogenen Lehnenrampe. In rascher Folge wechseln Viadukte und Tunnels und dazwischen öffnet sich immer wieder die herrlichste Szenerie. Der Ötscher ist etwas zurückgetreten und wir blicken auf den Großen Koller, auf den Josefsberg mit seinem blitzenden Kirchturm und die Gemeindealpe. Jetzt erreicht der Zug den anmutigen Wiesensattel mit der Station Annaberg. Der Ort liegt eine Stunde von der Station entfernt und ist ein beliebter Wintersportplatz. Weithin bekannt ist die herrliche Rodelstraße u. die Schiabfahrt vom Tirolerkogel. Wir eilen das reizende Wiesental der Lassing entlang, genießen die wildschöne Natur und schauen auf die glitzernde Wasserfläche des Stauweihers von Wienerbruck. Hier befindet sich der Ausgangspunkt für Wanderungen und Bergtouren ins Ölschergebiet. Sind es nun die Stierwaschmäuer oder die Ötschergräben, beide führen mit ihren senkrechten Wänden und grotesken Felspyramiden durch eine Gebirgswildnis sondergleichen, die in ihrer Erhabenheit und Schaurigkeit nicht leicht überboten werden. Unser Zug verläßt Wienerbruck und übersetzt in einer großen Schleife das Tal. Es geht wieder bergan und wir schauen rechts hinunter in das tief eingeschnittene Lassingtal, dessen Gewässer über den berühmten Lassingfall der Erlauf entgegenstürzen. Erneut folgen Tunnels und Viadukte, denn der Raingraben und der Kienbach müssen überquert werden. Plötzlich, aus einem kurzen Tunnel herauskommend, erstarren wir aber bei dem Anblick einer wahrhaft klassischen Kulisse. Vom sicheren Fensterplatz aus erblicken wir eine Felsszenerie so großartig und wild, wie sie sonst nur der Kletterer in den Hochgebirgswänden erschaut. Beim Anblick der Zinken, wie die Dolomitschlucht genannt wird, erfaßt manchen Reisenden ein Schwindelgefühl. Aus dem unheimlichen Abgrund der Erlaufschlucht ragt ein ganzer Wald von Felsgraten, Türmen und Zacken auf und starrt uns wie Zähne in einem weit geöffneten Rachen eines Raubtieres drohend entgegen. Flogen diese Steinfiguren verzauberte Teufel, Bergmännchen oder Wildfrauen sein, wie es die Sage will; sie sind unnahbar für den, der nicht sein Leben aufs Spiel setzen mag. Nach einem letzten Tunnel kommen wir ins Freie und erreichen die Station, die nach der alten Erlafklause benannt ist. Unter uns liegt der grüne Spiegel des langgestreckten Staubeckens, das mit wundervollen Buchten in verborgene Waldgräben hineinreicht. Über dem Ganzen aber schaut geisterbleich der riesige Ötscher herein. Nach einem tiefen Einschnitt rollt unser Zug über den Po Meter hohen Kuhgraben-Viadukt. Links und rechts der Bahn breitet sich ein herrliches Wiesental aus und den Stausee entlang nähern wir uns Mitterbach. Von hoher Terrasse blicken wir auf den tieferliegenden Ort mit seinen bedeutenden Torflagern und Moorgründen. So nähern wir uns langsam dem ersehnten Ziel unserer Reise, auch die Grenze zur Steiermark ist erreicht. Die letzten Kilometer führen noch durch umhegte Fichtenwälder und entlang tiefgründiger Wiesen. Links vor uns taucht der sanfte Höhenrücken der Bürgeralpe auf und schon blicken wir auf die ersten Häuser des Gnadenortes. Unser Zug hält vor dem prächtigen Aufnahmegebäude der Station Mariazell.
Ein Spaziergang von 20 Minuten trennt uns noch von der berühmten Wallfahrtskirche, der Basilika von Mariazell. Dieser von einem Bergeskranz umschlossene Marktflecken im Herzen Österreichs bildet jahraus, jahrein das Ziel für viele tausend Wallfahrer und Touristen aus den verschiedensten Ländern. Sowohl dem gläubigen Christen als auch dem Naturfreund und Touristen prägt sich der Gedanken an dieses Juwel der Alpenwelt für immer in die Seele und läßt die Sehnsucht nach einem baldigen Wiedersehen nicht erkalten.


