Wer heute über den Semmering fährt, an die unerhörten Leistungen moderner Eisenbahntechnik denkt und damit die etwas umständlich erscheinende Anlage der Semmeringbahn vergleicht, ahnt freilich nicht, daß vor 13 Jahrzehnten schon der bloße Gedanke, eine Bahn über den Semmering zu bauen, als etwas Verrücktes und Undurchführbares gelten mußte und wütenden Widerspruch entfesselte, obwohl er nur die logische Fortbildung der damaligen dominierenden Stellung Österreichs im kontinentalen Eisenbahnwesen war. In den Dreißiger- und Vierzigerjahren des 19. Jahrhunderts besaß nämlich das gerade zu dieser Zeit als besonders reaktionär verschrieene Österreich die unbedingte Führung in allem, was Eisenbahndinge betraf. Es baute die erste Schienenbahn des Kontinents, die 1832 eröffnete Pferdebahn Linz - Budweis, es betrieb in der Nordbahn von Wien bis Bochnia die längste Dampfstreckenbahn, es führte auf der Strecke Wien - Lundenburg den ersten Nachtverkehr ein, die 1842 eröffnete Bahn von Wen nach Gloggnitz hat mit 1,3 Millionen Passagieren im ersten Jahr die stärkste Frequenz aller kontinentalen Bahnen und in den Werkstätten der r Wien-Gloggnitzer Bahn wurde auch die stärkste Lokomotive der damaligen Zeit gebaut. Schon 1841 dekretierte der damalige Staatsminister Kübeck den Bau einer Linie von Wien nach Triest mit Überschreitung des Semmerings, sandte einen bewährten jungen Eisenbahningenieur namens Carl Ghega nach den Vereinigten Staaten, um dort das Eisenbahnwesen zu studieren und ließ dann in den Jahren 1843 - 1847 die Strecke über den Semmering durch ihn trassieren. Und damit setzte eine beinahe schon tragische Wendung ein: dieser Carl Ghega, der die österreichische Eisenbahntechnik zu ihrem höchsten Triumph führen wollte und schließlich auch führte, mußte gerade aus den Kreisen seiner engsten Kollegen Angriff um Angriff erdulden.
Als Ghega mit der Trassierung begann, lagen Gegenprojekte vor. Eines führte in die Prein und wollte die Kampalpe in der Richtung Prein - Spital mit einem 5000 m langen Tunnel durchbrechen, was bei dem damaligen Stand der Bohrtechnik auf kaum zu bewältigende Schwierigkeiten gestoßen wäre. Eine andere Linie stieg aus der Prein zum Ortbauer auf und führte von dort durch den Adlitzgraben zur Paßhöhe. Eine dritte Linie stieg von Neunkirchen am Osthang des Schwarzatales nach Maria Schutz und von dort zum Paß. Ghega lehnte sich an keines dieser Projekte an, sondern trassierte schon zu Beginn seiner Arbeiten eine ungefähr der heutigen gleiche Bahnstrecke, die nur bei Payerbach und bei der Kalten Rinne tiefer als jetzt ins Tal führte, an der Weinzettlwand über deren ganze Länge eine Galerie vorsah und nach dem Austritt aus dem Haupttunnel an der linken statt wie jetzt auf der rechten Talseite hinab nach Mürzzuschlag zog.
Vorher hatte man bei Bahnbauten nur Steigungen von 1:80 und Kurven mit einem Radius von 300 m für zulässig gehalten. Ghega bezog ohne weiteres Steigungen von 1:40 und Radien von 200 m in sein Projekt ein und natürlich fielen seine Fachkollegen sofort über ihn her. "Lokomotiven für solche Steigungen existieren nicht. In Höhen über 800 m ist jeder Betrieb ein bloßes Experiment, das glatt fehlschlagen kann. Es ist überhaupt ein Wagnis, an solchen Felshängen eine Bahn bauen zu wollen, die Herabfahrt wird lebensgefährlich sein!"
Aber Ghega setzte sich unbekümmert über solche Einwände hinweg. Es gab damals wirklich noch keine Lok, die längere Steigungen auch nur von 1:40 hätte befahren können man mußte sie eben konstruieren! Das war Sache der Maschineningenieure und man mußte Vertrauen zu ihnen haben. Und mit dem Schnee zur Winterszeit würde man auch noch fertig werden. Was aber den Betrieb selber anbetraf nun, wenn man dafür noch keine Erfahrungen besaß, so mußte man sie eben sammeln. Es war nie anders.
Ghega legte sein Projekt vor, präliminierte die Kosten mit 9,4 Millionen Gulden (da irrte er allerdings stark, man brauchte schließlich gegen 20 Millionen) und hatte die Genugtuung, daß Hofkammerpräsident Kübeck das Projekt ohne Änderung annahm. Nur die Inangriffnahme der Arbeiten verzögerte sich von Monat zu Monat - es war kein Geld da. Alle für Eisenbahnbauten verfügbaren Mittel nahmen die Anschlußstrecken an die sächsischen und preußischen Bahnen in Anspruch, im Süden baute man im Savetal zwischen Cilli und Laibach langsam weiter, stritt sich darüber herum, ob die Linie von Laibach nach Triest über den Karst oder durch das Isonzotal geführt werden sollte, die Semmeringbahn stand kaum mehr zur Diskussion. Und als im März 1848 Österreich von inneren und äußeren Wirren erdrückt zu werden drohte, in Wien nach der Märzrevolution überhaupt keine staatliche Autorität mehr bestand, Radetzky in Italien vor der Übermacht des Feindes Mailand räumen mußte und in Ungarn die österreichischen Heere von den Aufständischen geschlagen wurden, da hätte wohl jeder die Hoffnung auf Verwirklichung seiner Pläne aufgegeben.
Anders Ghega: er glaubte unverbrüchlich an sein Werk. Als Radetzky zu Beginn Juni 1848 die Italiener überraschend bei Vicenza schlug, die Bedrohung des Reiches wenigstens im Süden vermindert schien, da erklärte der damalige Minister des Inneren dem Wiener Stadtrat, daß er für die Wiener Arbeitslosen Notstandsarbeiten im großen Stil erwäge. Und Ghega, der davon erfuhr, setzte es durch, daß dafür nicht die Donauregulierung bei Wien, sondern die Bahn über den Semmering gewählt wurde.
Und im Juli meldeten sich schon 5000 Arbeiter dafür, von denen man aber nur einen kleinen Teil beim Bau der neuen Strecke einstellen konnte, da sich zunächst kein Unternehmer fand. Erst ein paar Wochen später erklärte sich der Bauunternehmer Hablitschek zur Übernahme des ersten Bauloses bereit. In Gloggnitz waren keine Unterkünfte vorhanden und Hablitschek mußte die Arbeiter noch jeden Morgen mit Extrazügen von Wien holen und abends wieder dahin zurückführen. Unter solchen Umständen kann es nicht wundern, daß auch seine Mittel nicht reichten, da er zuletzt über Auftrag der Regierung gegen 5000 Mann beschäftigen mußte. Schon im August wies die Regierung jede Woche 50.000 Gulden zur Auszahlung der Löhne an.
Aber der Bau war begonnen und bei Ghegas Energie durste man erwarten, daß er auch planmäßig vollendet wurde. Freilich, die Kleingläubigen rührten sich wieder; gleich bei Baubeginn wurden Ghega und der Minister Baumgartner der "Verschleuderung von Staatsgeldern für ein unmögliches Experiment" beschuldigt, ohne daß sich die beiden darüber sonderlich aufgeregt hätten. Die ganze Strecke wurde in Baulose eingeteilt und diese dann ausgeschrieben und jetzt fanden sich für jeden Teil der Strecke schon kapitalkräftige Unternehmer, so die schon beim Bau der Nordbahn bewährten Gebrüder Klein, die Italiener Tallachini und die Firma Fleischmann und Blühdorn.
Im Winter wurden die Arbeiten nur in sehr vermindertem Maß weitergeführt. Im März aber, als Radetzky im fünftägigen Feldzug die doppelt so starken Piemontesen bei Novara entscheidend schlug und die Lombardei endgültig für Osterreich wiedergewann, nahm man sie in größtem Umfang wieder auf. Kaum hatten sich die Kriegswirren wieder etwas gelegt, begannen aus Fachkreisen wieder die Angriffe auf Ghega und sein Projekt.
So erschien schon am 14. April 1849 in einer Wiener Tageszeitung ein Brandartikel, aus dem folgende Stellen herausgehoben werden sollen: "Männer vom Fach wundern sich über das vom Ministerium für öffentliche Arbeiten adoptierte System, das die Erfahrungen der letzten neun Jahre ganz unberücksichtigt läßt". "Fachleute des Auslandes haben als höchste zulässige Steigung 1:100 nachgewiesen, die bereits ausgeführten Steigungen 1:40 und 1:30 sind Ausnahmsfälle, können in die Reihe jener Verirrungen des menschlichen Geistes gestellt werden, die keine Nachahmung verdienen und keine Berufung gestatten".
Und im Oktober desselben Jahres fuhr dann die Zeitschrift des neugegründeten Ingenieur- und Architektenvereines mit ganz grobem Geschütz auf und veröffentlichte ein viele Seitenlanges "Memoire über die Semmeringfrage oder über den Bau einer Verbindungsbahn von Gloggnitz bis Mürzzuschlag". Man schrieb: "Der Semmering ist nicht geeignet, durch einen Lokomotivbetrieb mit geringen Opfern überstiegen zu werden. Eine Seilbahn (! !) ist billiger und sicherer". "Eine Eisenbahn Wien - Triest ist für Jahrhunderte ein Werk zum öffentlichen Wohl, kann aber diesen Zweck nicht erfüllen, wenn ein Lokomotivdienst ohne gesicherten Erfolg der Natur abgezwungen wird. Es ist ein unverantwortliches Verbrechen am Staatswohl, wenn auf einen Zweck höhere Mittel verwendet werden, der durch geringere vollkommen zu erreichen ist. Nach einer kurzen Periode der Erfahrung haben dann die kommenden Geschlechter die Fehler ihrer Vorfahren mit den herben Früchten ihres Fleißes aufzuwiegen".
Und nun das Résumé: "Für eine Eisenbahn über den Semmering ist der Seilbahnbetrieb in der kürzesten Linie die einzige durch Wissenschaft begründete und durch Erfahrung gerechtfertigte Betriebsart und bietet einen solchen Vorteil gegenüber dem Lokomotivdienst auf sinnlos verlängernden Serpentinen, daß in der Mitte des XIX. Jahrhunderts der Seildienst wohl kein Fortschritt, aber ein Gebot und der Lokomotivdienst kein Rückschritt, aber der größte Mißgriff ist!"
Diesen Irrsinn zeichnete ein Ingenieur Schmidt, der auf solche Weise einer verdienten fachlichen Unsterblichkeit teilhaftig wurde. Dem Memoire lag auch das bis ins Kleinste ausgearbeitete Projekt einer Seilbahn vor, die von Schottwien aus in sieben Rampen den Semmering ersteigen wollte. Man stelle sich nur vor, daß man heute jeden Personen und Lastwaggon einzeln von Schottwien auf den Semmering aufziehen müßte ... Und das wurde von damals durchaus als ernst geltenden Fachleuten leidenschaftlich befürwortet! Aber Ghega und der Minister Bruck gaben die richtige Antwort, erwiderten den Angriff mit einem noch stärkeren Angriff und erließen im Winter desselben Jahres ein mit 20.000 und 10.000 Dukaten dotiertes Preisausschreiben für Lokomotiven der künftigen Bahn. Die Austragung erfolgte auf der Teilstrecke Gloggnitz - Eichberg. Diese fabelhafte Parade verfehlte denn auch ihre Wirkung nicht, die Gegner taten auch dann den Mund nicht mehr auf, als die großen Überschreitungen des Präliminares bekannt wurden.
1850 gab es noch böse Zwischenfälle, im August wütete im Adlitzgraben die Cholera, von 11.500 Arbeitern flüchtete ein Zehntel, ohne daß man gleich Ersatz für sie fand und am 27.10. gab es bei der Weinzettlwand in der Gegend der großen Galerie einen unheilvollen Felssturz, der 14 Arbeitern das Leben kostete und Ghega zu einer Umlegung der Strecke mehr in das Innere der Wand veranlaßte. Ursprünglich hätte ja die ganze Wand von einer Galerie umzogen sein sollen.
Das Preisausschreiben der Lokomotiven brachte einen sensationellen Erfolg. Die siegreiche "Bavaria" von Maffei in München erzielte fast das Doppelte der vorgeschriebenen Leistung und damit war auch der Sieg des ganzen Werkes entschieden. Der Ingenieur Engerth konstruierte auf Grund der Erfahrungen bei den Preisfahrten die erste für einen Dauerbetrieb geeignete Berglok der Welt, von der dann 32 Stück in Bestellung gegeben wurden.
Und am 27. 10. 1853 konnte dann Ghega mit seinem Gönner Minister Baumgartner zum erstenmal die ganze Strecke in der Richtung Mürzzuschlag - Gloggnitz unter begeistertem Jubel der Arbeiter durchfahren. Auf der steirischen Strecke lag noch tiefer Nebel, bei der Ausfahrt aus dem Haupttunnel aber begrüßte strahlendster Sonnenschein die Teilnehmer der Fahrt und vollendete so den Triumph eines genialen Werkes und seines Schöpfers, der immer zu den größten Männern Österreichs gehören wird.