All Texte und Bilder über die Ödenburg - Wiener Neustädter Eisenbahn entstammen aus dem Sonderband anlässlich der Sonderausstellung "150 Jahre Eisenbahn im Burgenland" und wurden freundlicherweise zur Verfügung gestellt von Dr. Hans Chmelar / Amt der Burgenl. Landesregierung.
Von Mihály Kubinszky, Sopron/Ödenburg
Die Ödenburg-Wiener Neustädter Eisenbahn verdankt ihren Bau im speziellen vier Interessenten:
- Der österreichische Staat war an jedem Eisenbahnbau von Wien in Richtung Süden interessiert, weil dies eine Möglichkeit der Verbindung der Hauptstadt mit dem Seehafen Triest bedeutete;
- Freiherr Georg von Sina, Wiener Bankier, bot mit der Finanzierung der von Wien aus nach Süden und Osten geplanten Strecken dem mächtigen Rothschild'schen Bankhaus Konkurrenz;
- Die Stadt Ödenburg reagierte sofort, nachdem die ersten Vorstellungen eines Eisenbahnbaues bekannt wurden, und betrieb eine Verbindung nach Wien;
- Die Großgrundbesitzer der Umgebung von Ödenburg, vor allem der für technischen und sozialen Fortschritt aufgeschlossene Graf István Széchenyi, der in Ungarn bekannte und verehrte Staatsmann, aber auch Fürst Paul Esterházy setzten sich mit eigenen finanziellen Kräften für diesen Eisenbahnbau ein.
Nachdem 1836 seitens des Freiherrn von Sina die ersten Schritte zur Erlangung einer Konzession für Eisenbahnen von Wien nach Raab, Preßburg und Gloggnitz gesetzt worden waren, gründete die Stadt Ödenburg ein "Eisenbahnkomitee", welches sich mit dem Bankier Sina in Verbindung setzte. Am 7. Juli 1836 teilte Sina der Stadt brieflich mit, er habe in seiner erlangten Konzession auch eine von Wiener Neustadt über Ödenburg nach Raab zu bauende Verbindung angeführt. Hierauf ließ die Stadt die Großkaufleute Johann Rupprecht und Ignaz Flandorffer zu Sina reisen, um sich dort vorzustellen. Anfangs war das Vorhaben nicht sehr erfolgreich, denn erst mit großer Verzögerung konnte Sina einen Bruchteil seiner ursprünglich vorgesehenen Strecken von Wien bis Wiener Neustadt (1841) und dann bis Gloggnitz (1842), in der anderen Richtung bis Bruck an der Leitha (1846) verwirklichen.
Sina legte 1838 eine "Übersichtskarte der projectierten Tracen der Wien-Raaber Eisenbahn sammt Nebenzweigen" an mit dem Vermerk "In der Ausführung begriffen unter der Leitung des Civil Ingenieurs M. Schönerer". Es ist zu beachten, daß unter den "Nebenzweigen" nach Preßburg und Laxenburg die bedeutendste, die dritte nach Ödenburg war.
Auf dieser Übersichtskarte nahm aber eben dieser Nebenzweig noch eine andere Richtung ein, als die schließlich verwirklichte Trasse. Anstatt unmittelbar bei Mattersdorf (ab 1924 Mattersburg) zu verlaufen, sollte die Talübersetzung etwas abgelegener geführt werden, um nach nördlicher Umgehung der Hügellandschaft des Draßburger Waldes Baumgarten - etwa auf der Trasse der späteren Ebenfurt-Ödenburger Verbindung ihr Endziel Ödenburg zu erreichen. Es ist nicht eindeutig klar, wann sich Ingenieur Matthias Schönerer für die hohe Talübersetzung vor Mattersdorf und für die direktere Linie Marz-Schattendorf-Agendorf entschlossen hat. Angeblich wurde er von den gegen die Vermessungsarbeiten revoltierenden Pöttschinger Bauern dazu bewegt. Dies scheint aber deswegen unwahrscheinlich, weil sich die Trasse eben in dieser Gegend kaum geändert hat. Es ist eher anzunehmen, daß Schönerer in dem bis zur Verwirklichung verflossenen fast einem Jahrzehnt seine Kenntnisse im Eisenbahnbau noch vertieft hat und die Überbrückung der Talwiese mit dem sich damit bietenden kürzesten Weg nach Ödenburg - wobei auch mehr bevölkerte Gemeinden an das Eisenbahnnetz angeschlossen wurden - dem rutschigen Lehmboden bei Draßburg bevorzugte.
Immerhin war es ein großer Vorteil für die Eisenbahn, daß Schönerer (1807-1881) bei der ersten Trassierung der Sina'schen Bahnen kaum 30 Jahre alt, früher als Assistent des Ingenieurs Gerstner beim Bau der Pferdebahn Linz-Budweis viele Erfahrungen gesammelt hat, war er doch ab 1829 deren Bauleiter. Nach den geleisteten Vorarbeiten stand er von 1839 an im Dienste der Wien-Raaber bzw. -Gloggnitzer Bahn. Gleichzeitig nahm er aber auch an der Planung und Ausführung der Eisenbahnen Linz-Gmunden (1834 -1835), der Pferdebahn Preßburg-Tyrnau (1834-1846) und am Bau der Bahn Brünn-Böhmisch Trübau (in den Jahren 1843-1849) teil, wobei bemerkt sei, daß besonders letztere unter schwierigen Geländeverhältnissen ausgeführt werden mußte.
Erst nach der 1842 erfolgten Inbetriebnahme der Bahn bis Gloggnitz kam allmählich das Projekt der Ödenburger Bahn wieder ins Gespräch. Der Ausbau der Verbindung von Wien mit Pest oder Ofen, erstere durch die Rothschild'sche Ungarische Central Eisenbahn, die zweite durch die geplante Weiterführung der Raaber Bahn, verzögerte sich durch einen politischen Streit über die beiden Varianten. Széchenyi, der damals über großen Einfluß auf den zuständigen Ungarischen Landtag in Preßburg verfügte, bevorzugte das sogenannte rechtsufrige Donauprojekt von Sina schon deswegen, weil der Bankier den Kettenbrückenbau zwischen Ofen und Pest zu finanzieren bereit war, welcher damals das wichtigste Vorhaben des Grafen darstellte. Schließlich siegte das linksufrige Projekt, damals noch mit einer Abzweigung von der Rothschild'schen Nordbahn bei Gänserndorf über Preßburg und Waitzen nach Pest. Aber auch dessen erster Abschnitt Pest-Waitzen konnte erst 1846 eröffnet werden. Diese Verzögerung im Bahnbau östlich von Wien beeinflußte auch das Projekt der Ödenburger Abzweigung nachteilig. Immerhin spornte die Zurückstellung Sinas beim durchgreifenden Projekt von Wien bis Ofen den Bankier an, etwas südlicher eine Konkurrenzlinie mit möglichem Weiterbau über das westliche Ungarn zur Adria in Angriff zu nehmen.
Das angesehenste Werk zur österreichisch-ungarischen Eisenbahngeschichte faßt die Ereignisse um die Vorbereitung des Baues der Ödenburg-Wiener Neustädter Bahn, welche man an Hand der Széchenyischen Aufzeichnungen verfolgen kann, in nachstehenden Worten zusammen: "Széchenyi und Fürst Paul Esterházy unterstützten gegen den Willen des Landtages in nachdrücklichster Weise ein Comite, das im Jahre 1844 diese Idee wieder aufgriff. Nachdem Esterházy die unentgeltliche Abtretung aller auf seinem Grund und Boden zu Bahnzwecken nothwendigen Grundstücke zugesichert und sich überdies bereit erklärt hatte, für alle in den weiten Bereich seiner Domänen in die Grundeinlösung fallenden Parcellen den Besitzern eine Entschädigung in natura dadurch zu bieten, daß er ihnen eine gleichwerthige Fläche zur Verfügung stellte - was ein Erfordernis von 28 Joch Feld beanspruchte - und nachdem auch die Stadt Ödenburg 22 Joch Grund ohne Anspruch auf Vergütung für die Zwecke des Unternehmens zugestanden hatte, erschien die Durchführung des Projektes gesichert."
Die den Bau der Eisenbahn Ödenburg-Wr. Neustadt vorangegangenen Ereignisse können schließlich folgendermaßen zusammengefaßt werden:
- Freiherr von Sina, Chef seiner Bank, ließ 1837 bis 1838 die Eisenbahnstrecken Wien-Raab und Wien-Gloggnitz mit abzweigenden Stichbahnen, darunter die Strecke Wiener Neustadt-Ödenburg vermessen. Schönerer hielt sich vorerst an Normen, welche sich nur teuer verwirklichen hätten lassen: 5%O max. Steigung und 600 Klafter (ca.1080 m) kleinste Gleiskrümmung;
- Sina gründete die Wien-Raaber Eisenbahn, welche auch die südlichen Strecken betreiben sollte. Dazu erhielt er am 2.1.1838 eine vorläufige Genehmigung. Die definitive Genehmigung datiert vom 16. 2.1839. Sie wurde am 6. 6.1840 ergänzt;
- Am 2.11.1844 wurde die Ödenburg-Wiener Neustädter Eisenbahn Gesellschaft von Kaiser Ferdinand I. (in Ungarn König Ferdinand V.) genehmigt, ihre Statuten wurden am 20. 2.1845 gebilligt. Das Aktienkapital betrug 1,5 Millionen Gulden, es wurden 7500 Aktien zu je 200 Kronen ausgegeben;
- Die Konzessionierung sah einen Vertrag zwischen der Statthalter in Ofen und der Gesellschaft vor: Er wurde am 27. 3.1845 auf 50 Jahre geschlossen. Seitens der Eisenbahngesellschaft waren Graf István Széchenyi, Graf Heinrich Zichy und Eduard Tschurl als Sekretär der Bahngesellschaft die Unterzeichner. Gesetzliche Grundlage des Vertrages war der 1836 verabschiedete Ungarische Gesetzartikel XXX über den Landverkehr;
- Am 30. 3.1845 fand in Ödenburg (Sopron) die konstituierende Generalversammlung statt. Sie bestätigte den Grafen Széchenyi als Präsident. In seiner kurzen, in deutscher Sprache gehaltenen, Rede deklarierte er: "Ein heller Stern ist damit dem Westen Ungarns aufgegangen, dessen wachsender Strahlenglanz die Bahnen seines zukünftigen raschen Fortschrittes erleuchten wird."
- Die Bauarbeiten wurden noch im Frühjahr 1845 bei Mattersdorf in Angriff genommen.