Der Betrieb auf der Wiener Neustädter - Ödenburger Eisenbahnlinie von 1914 bis 1921

Szenenbild vor dem Bahnhof Nagymarton (Mattersburg) am 18. Oktober 1921: Bahnpersonal, Freischärler und Reisende.
Freischärler vor dem Bahnhof Savanyúkút (Sauerbrunn) am 18. Oktober 1921.

Von Gyula Lovas, Sopron, aus dem ungarischen übersetzt von Josef Hochwarter, Jennerdorf.

Am 28. Juni 1914 krachten in Sarajevo Gavrilo Princips Revolverschüsse. Damals schon zeichneten sich die kriegerischen Ambitionen ab, und wenn auch zunächst auf diplomatischem Gebiet die Auseinandersetzungen wogten, stellte sich heraus, daß die militärische Führung der Monarchie richtig gerechnet hatte, als sie für den Fall des kommenden Krieges den Fall "B" ausarbeiten ließ, nämlich den Aufmarschplan, der sich auf einen eventuellen Krieg auf dem Balkan bezog. Die Einzelteile dieses Planes, die die Bahn betrafen, ruhten in den Panzerschränken der Eisenbahndirektion sowie in den Schreibtischen der Vorstände von größeren Bahnhöfen. Alles geschah zur Vorbereitung der Allgemeinen Mobilmachung, und als klar wurde, daß Serbien auf Rußlands Ermutigung hin für den Mord an Franz Ferdinand und an seiner Gattin keine Genugtuung leistete, wurde auf dem gesamten Gebiet der Monarchie die Allgemeine Mobilmachung ausgerufen, und der Krieg brach aus.

Als eine der meist betroffenen Bahnlinien, die an die Südfront führten, kam der Wiener Neustadt-Ödenburg Eisenbahn im Hinblick auf den zur serbischen Grenze hin gerichteten Aufmarsch eine bedeutende Aufgabe zu. Mit 28. Juli 1914 stellte man den personenbezogenen Warenverkehr ein, und am 30. Juli wurde auf der Linie Ödenburg-Szombathely-Nagykanizsa-Barcs der schon ausgearbeitete Kriegsfahrplan eingeführt. Danach durfte zwischen den Zügen des militärischen Verkehrs täglich nur ein Paar der sogenannten "Postzüge" verkehren, doch auch dieses Zugspaar konnte von Zivilpersonen nur mit einer eigenen Erlaubnis der Behörden in Anspruch genommen werden. Einige Tage nach Kriegsbeginn wurde der Kriegsfahrplan auch auf die Linie Wiener Neustadt-Ödenburg ausgeweitet. Unablässig rollten die Militärzüge in Richtung der serbischen Grenze.

Am 10. August 1914 wurde auf der Ödenburger Station der Südbahn das gemeinsame Infanterieregiment 76 verladen. Die feierliche Verabschiedung verlief noch mit der Begeisterung der ersten Zeit, während die Entsendung der später folgenden Marschkompanien schon wesentlich ruhiger vor sich ging. Zu Beginn des militärischen Verkehrs verordnete man die Bewachung der Eisenbahnbrücken sowie der Bahnübergänge und rief in Plakaten die Bevölkerung zur Zusammenarbeit bei der Verhinderung von Attentaten an der Bahnstrecke auf. Der Aufmarsch in Richtung des südlichen Kriegsschauplatzes dauerte sechs Wochen. Am 27. August 1914 kam auf dem Ödenburger Bahnhof der Südbahn der erste Verwundetentransport aus Serbien an.

Mit 30. September 1914 wurde auf der Linie Wiener Neustadt-Nagykanizsa mit täglich drei Zugspaaren der bürgerliche Personenverkehr wieder aufgenommen. Zwischendurch rollten die Militärzüge, die Ersatz befördernden Garnituren, und auch die Züge mit Kriegsgefangenen traten in Erscheinung. Auf den Stationen hielt die Menge der Neugierigen nach den ankommenden Zügen Ausschau, um Neuigkeiten zu erhaschen und über das Getriebe am Bahnhof zu staunen. Viele verbrachten ihre freie Zeit in der Nähe der Geleise, bis sie abgestumpft aufgaben.

Mit der Zeit erlahmte das Interesse, denn die Aufregung wurde allgemein, und die Menschen gewöhnten sich daran. In den letzten Wochen des Jahres meldete sich schon hie und da Warenknappheit, und die Kriegsumstände brachten, wie auf allen Gebieten, so auch im Betrieb der Bahn spürbare Änderungen.

Am 1. Mai 1915 wurde mit Berufung auf die Kriegsumstände auf den Bahnlinien der Verkehr der Waggons I. Klasse eingestellt. Es wurde verlautbart, daß die gepolsterten Wagen der I. und II. Klasse zur Ansiedlung von Parasiten besonders geeignet seien; deshalb genehmigte man in der Folge nur Waggons II. und III. Klasse mit Holzbänken.

Das Fachpersonal der Südbahn war zum Großteil vom Militärdienst befreit, die Streckenarbeiter jedoch nicht. So trat im Erhaltungsdienst an der Linie schon 1915 Arbeitskräftemangel auf. Die Ödenburger Ingenieurabteilung war bestrebt, diesem Mangel dadurch abzuhelfen, daß sie aus Mädchen von Sopronkövesd eine Arbeitsgruppe organisierte, die überall dort eingesetzt werden konnte, wo eine auch für Mädchen zu verrichtende Arbeit zumutbar war. Wenn nötig, hackten sie Unkraut aus, ergänzten den im Streckenbett eingesunkenen Schotter, wurden aber auch zur Gleisregulierung eingeteilt. 1918 allerdings war die Verwendung der Mädchen nicht mehr nötig; von den Fronten kehrten viele Soldaten, Verwundete, Verletzte heim, die an ihre Stelle traten.

Während des Krieges kam es ständig zu Beschränkungen des Zugsverkehrs sowie zur endgültigen Einstellung einzelner Züge. So wurde, beginnend mit 19. März 1916, das zwischen Wiener Neustadt-Nagykanizsa und zurück verkehrende Eilzugspaar 301/302 eingestellt.

Obwohl auch in Ungarn schon wegen der Lebensmittelversorgung Sorgen laut wurden, war diese noch immer besser als in Österreich. Nachdem 1915 der Reisepaßzwang zwischen Österreich und Ungarn aufgehoben worden war, setzten sich aus Wien und aus der Umgebung der Großstadt Bürger in großer Zahl in Bewegung, um in dem als "Land, in dem Milch und Honig fließen - Kanaan" geltenden Ungarn Lebensmittel einzukaufen. Unter ihnen waren auch Eisenbahner in großer Zahl.

Beginnend mit 1. Dezember 1916 führte die Grenzpolizei die Kontrolle des Inhalts aufgegebener Gepäckstücke durch, nachdem es verboten worden war, Lebensmittel als Reisegepäck aufzugeben.

Im Sommer 1917 verkehrten zwischen Wiener Neustadt und Ödenburg noch drei Züge täglich, die alle samt überfüllt waren; Massen von Soldaten und Zivilpersonen überfluteten die Züge der Bahn. Wegen der militärischen Transportbewegungen wurden Zugsverspätungen zur Regel. Im Bahnverkehr wurde ein bisher noch nie gesehenes Gedränge zur Alltäglichkeit. Die Tageszeitung "Sopron" berichtete in ihrer Ausgabe vom 19. September 1917 darüber:
"Auf der Südbahn gibt es - vor allem an Sonntagen - ein derart blutiges Gedränge um die Züge, daß man nur mit dem Faustrecht einen Platz ergattern kann."

In ausgesprochen kritischen Fällen wurden die Zugsgarnituren durch Güterwagen ergänzt. Mit 15. November 1917 wurde eine fast 100%ige Erhöhung der Personenbeförderungstarife vollzogen. Doch trotz dieser Maßnahme senkte sich die Anzahl der Reisenden kaum. Auf der Linie Wiener Neustadt- Ödenburg war der Arbeiterverkehr besonders stark. Obwohl in der Kriegsproduktion lediglich die Zündholzfabrik von Neudörfl Aufgaben übertragen bekam, beschäftigten die Fabriken in Wien und Wiener Neustadt ungarische Arbeiter in großer Zahl. Zu gleicher Zeit stieg auch die Anzahl der mit der Lebensmittelbeschaffung befaßten Menschen weiter an. Um die Situation richtig einzuschätzen, sei die Überschrift eines Artikels über eine skandalöse Aufdeckung zitiert, die in der Ausgabe der Tageszeitung "Sopron" vom 18. Jänner 1918 zu lesen war:

"Riesige Mengen Lebensmittel in einem deutschen Transportzug" . Es stellte sich heraus, daß ein von der Front zurückkehrender Transportzug in der Station Bük gehalten hatte. Während dieser Zeit konnten die Schmuggler mit Einverständnis der Soldaten ihre Ware verladen. Schinken, Schmalz und Speck gerieten sogar in die Geschützrohre. Ein Offizier des Stationskommandos deckte jedoch diese ordnungswidrige Fracht auf, und in Ödenburg beschlagnahmte sie die Grenzpolizei.

Mitte Jänner 1918 begann in Österreich eine enorm starke Streikbewegung mit dem Ziel, die Regierung zu einem Separatfrieden mit Rußland zu zwingen. Zunächst reisten viele Tausende ungarischer Arbeiter in überfüllten Zügen in ihre Heimat zurück, um mit Beendigung des Streiks wieder an ihre Arbeitsstätten zurückzukehren. Dies bedeutete fast eine mit einer Völkerwanderung zu vergleichende Reisebewegung.

Im Sommer 1918 kam es infolge der Überfüllung der Züge zu Unfällen, da die Menschen schon auf Puffern, Einstiegsstufen und auf den Waggondächern Platz nahmen. Es war nicht möglich, die Anzahl der Züge zu erhöhen. Die Südbahn konnte mit den eigenen Lokomotiven den Verkehr nicht bewältigen; daher war sie bestrebt, mit den von den Ungarischen Staatsbahnen (M4V) gemieteten Lokomotiven den Verkehr auf den ungarischen Linien aufrecht zu erhalten.
Die Lebensmittelversorgung nahm in Österreich katastrophale Ausmaße an. In diesem Zusammenhang wuchs der Schmuggel zu einer noch nie gesehenen Größe an. Mitte Juni 1918 etwa fanden die Beamten der Grenzwache im Wasserbehälter der Lokomotive einer von Ödenburg nach Wiener Neustadt fahrenden Zugsgarnitur 100 kg Schweinefleisch, Käse sowie Würste und im Kohlentender große Mengen an Mehl.

Am 17. Oktober 1918 bekannte Ministerpräsident István Tisza im Abgeordnetenhaus, daß der Krieg verloren und die italienische Frontlinie zusammengebrochen sei. Die militärischen sowie zivilen Behörden drängten verzweifelt zur Räumung der bedrohten Gebiete. Jede Menge an Lokomotiven, Waggons sowie anderes Material kam von den südlichen Kriegsschauplätzen an, und es setzte ein unabsehbarer Strom von Soldatenmassen ein, die in ihre Heimat zurück wollten.

Am 27. Oktober 1918 gaben die Eisenbahndienststellen bekannt, daß sie die Zugsgarnituren vermindern und lediglich so viele Fahrkarten ausgeben werden, als Plätze in den Waggons vorhanden seien. Gleichzeitig wurden die Reisenden schon im voraus darauf hingewiesen, daß die einzelnen Wagen nur mangelhaft beheizbar sein werden und deshalb jedermann in warmer Kleidung und mit einer Decke versehen eine Reise antreten solle.

Am 25. Oktober 1918 vollzog sich in Ungarn eine revolutionäre Veränderung: die Liberale, die Bürgerlich radikale sowie die Sozialdemokratische Partei riefen die Bildung des "Rates der Ungarischen Nation" aus. Mit 30. Oktober 1918 jedoch brach in Budapest unter der Führung des Soldatenrates die "Chrysanthemen-Revolution" aus. Diese vollzog innerhalb einiger Tage den Machtwechsel.

Während dieser hektischen Tage dauerte der Verkehr der nach Hause strömenden Soldaten unvermindert an. Dem Ödenburger Bahnhof benachbart richteten die Militärbehörden für die heimkehrenden Soldaten eine Lebensmittel-Versorgungsstation ein. Am 6. November 1918 verlautbarte das militärische Stationskommando das Rundtelegramm des Verteidigungsministers der ungarischen Regierung: "Soldaten! Wir werden nichts zu essen haben, wenn die Züge stehen bleiben. Das würde den Frieden und die Ruhe gefährden: Wir müssen also den ungestörten Zugsverkehr garantieren. Ich habe deshalb die Aufstellung der Eisenbahner-Nationalgarde veranlaßt...".

Die Sicherheit des Eisenbahnverkehrs auf dem Gebiet des Komitats Ödenburg wurde durch die in erster Linie an den Grenzgegenden sich bildenden, jeweils eine größere Anzahl von Personen umfassenden Schmugglerbanden gefährdet, deren Mehrheit sich aus den von der Front heimgekehrten Soldaten zusammensetzte, die sich in keinem bürgerlichen Beruf etablieren konnten. Ganze Herden von Tieren trieben sie über die Grenze. Die Ungestörtheit ihrer Tätigkeit suchten sie dadurch zu sichern, daß sie die Behörden in Angst versetzten. Deswegen wurden am Morgen des 6. Dezember 1918 auf den Linien der Südbahn sowie der GySEV gegen diese Banden bewaffnete Formationen in den Grenzsektor gebracht; nach einzelnen Quellen mehrere Hundert Bewaffnete. Die auf der Linie der Südbahn beförderte Formation wurde in Eisenbahngarnituren bis zur Mattersburger Station herangeführt, von wo sie den Fußmarsch antrat. Diese regulären Kräfte konnten - vor allem in Hornstein - große Mengen an Waffen einsammeln. Gegen die als "Grüne Kader" benannten Schmugglerbanden und Wilderer setzte man auch die Eisenbahnsicherheits-Nationalgarde ein. Allein, man konnte jedwede Art von Wachorganen aufstellen, sie waren nicht imstande, den Schädigern der Bahneinrichtungen das Handwerk zu legen. Sie fetzten die Fenstervorhänge der Personenwagen herunter, rissen die Gurte der Fensterhebevorrichtungen und die Plüschbezüge der Sitze heraus oder schnitten sie in Streifen, so daß auf den Linien zerfetzte Personenwagen verkehrten. Diese besessene Zerstörung kann kaum geschildert werden!

1919 verstärkten sich die Sorgen Österreichs um die Lebensmittelversorgung des Landes. Die Bewohner der Grenzregion waren weiterhin bestrebt, in Ungarn zu Lebensmitteln zu gelangen. Die Zeitung "Sopronvármegye" schrieb am 11. Jänner 1919:

"Die von Wien eintreffenden Züge schütten Tag für Tag die vielen Menschen aus, und es gibt niemanden, der diesen Strom der Hungernden aufhalten kann. Wie die Heuschrecken, so fluten diese hungrigen österreichischen Menschen herein und schleppen in ihren Rucksäcken alles fort, was man sich nur vorstellen kann. "

Die Behörden hofften, daß sie mit der Wiedereinführung des Reisepasses dem Lebensmittelschmuggel einen Damm entgegensetzen können und verordneten am 18. Februar 1919 dessen Gebrauch. Den innerhalb der 40-km-Grenzzone Wohnenden erleichterte man die Reise mit einer "Verkehrs-Legitimation", die den darum Ansuchenden von der Grenzpolizei ausgestellt wurde.

Zur Kontrolle des grenzüberschreitenden Verkehrs war man auf keiner einzigen Station der Wiener Neustadt-Ödenburger Eisenbahnlinie eingerichtet. An der eigentlichen Grenzstation, in Neudörfl, konnte die Bahn keine Räumlichkeiten dafür freimachen, weshalb die Grenzpolizei sich in Sauerbrunn einrichtete, und zwar in dem winzigen Warteraum der Bahnstation. Alle Reisenden mußten mitsamt ihrem Gepäck aus dem Zug aussteigen, mußten in den Warteraum hinein, und konnten erst nach der Kontrolle wieder in den Zug einsteigen. Daraus ergaben sich beträchtliche Zugsverspätungen, doch die Vorschrift mußte eingehalten werden.

In Ungarn geschah am 21. März 1919 ein neuer Machttausch: die Kommunisten übernahmen von den bürgerlichen Politikern die Macht, und es begann die Ära der "Diktatur des Proletariats". Mittels einer harten Diktatur trachtete die neue Macht, der wirtschaftlichen und politischen Schwierigkeiten Herr zu werden. Die größte Sorge war der allgemeine Kohlenmangel. Die Eisenbahnen - so auch die Südbahn - waren zur Reduktion der Züge gezwungen. Eben deshalb wurde mit April 1919 beginnend, der Verkehr auch auf der Linie Wiener Neustadt-Ödenburg unbestimmt, die Züge fuhren nach fortwährend geänderten Fahrplänen, meist jedoch nur bis Neudörfl bzw. bis Sauerbrunn.

Am 10. Mai 1919 schloß Österreich die nach Ungarn führenden Grenzübergangsstellen, wohl mit dem Ziel, das Überschwappen der kommunistischen Revolution auf Österreich zu verhindern. Wir wissen, daß die Rätediktatur mehrfach Schritte unternommen hat, damit auch in Österreich auf dem Wege der Revolution die Kommunisten die Macht übernehmen. Es war allgemein bekannt, daß hitzköpfige Ödenburger Kommunistenführer davon phantasierten, mit einem Panzerzug in Österreich einzufallen um auch dort die "Rote Diktatur" auszurufen. Mit diesem Ziel sandten sie auch Eisenbahner als Agitatoren in das Grazer Heizhaus, wo diese aber von den Behörden verhaftet wurden...

Sauerbrunn, beliebter Urlaubsort, war auch diesen Sommer voll von Gästen. Neben den Lieblingen des neuen Regimes ließen sich auch viele Budapester Flüchtlinge dort nieder. Von Sauerbrunn aus konnte man auf Schleichpfaden relativ leicht nach Österreich hinüber gelangen, und die Schmuggler fragten nicht lange, ob jemand den Roten oder Weißen angehöre, der ihrer Hilfe bedarf, um über die Grenze zu gelangen. Ein Zeuge der eigenartigen Sauerbrunner Welt, der Kommissär des Bades Zoltán Sümeghy, Journalist, schrieb eine charakteristische Episode dieser Zeit auf, die in der Zeitung "Sopronvármegye" in der Nummer vom 20. September erschien:

"Einmal, so weiß ich, kam spät abends die Nachricht, daß auf dem Bahnhof von Wiener Neustadt ein Panzerzug bereitstehe, mit der Lokomotive gegen Ungarn gerichtet. Also setzte sich der "Generalstab" von Sauerbrunn zusammen, bestürmte den Bahnhof, verschaffte sich Draisinen und Spanneisen und brach auf. Mit einer Gruppe von Arbeitern traten die ,Generalstäbler' in die Pedale der Draisinen, um zur Grenze zu gelangen. Sie machten sich an die Schienen, rissen zwischen Katzelsdorf, Neudörfl und Sauerbrunn die Gleise auf und zerstörten die Weicheneinrichtungen der Stationen. Mitternacht war schon vorbei, als der ,Generalstab' seine Operation beendet hatte. Der Chef dieses Geniestreichs, dieser Mackensen von Sauerbrunn, kehrte mit einem derart zufriedenen Gesichtsausdruck von seinem militärischen Unternehmen heim, als hätte er zumindest einen zweiten Durchbruch von Gorlice erzielt.

Am nächsten Morgen jedoch wurde bekannt, daß der Wiener Neustädter Panzerzug ein harmloser Lazarettzug des Roten Kreuzes war, der 800 bedauernswerte Verwundete aus der italienischen Gefangenschaft nach Ungarn heimbringen sollte. Allerdings nur sollte, denn die Sauerbrunner ,Strategen' machten eine Weiterführung des Transportes in die Heimat unmöglich.

Der heldenhafte rote ,Generalstab' war am nächsten Tag gezwungen, sich auf die Draisinen zu setzen, die aufgerissenen Gleise wieder festzumachen sowie die zerstörten Weicheneinrichtungen wieder instand zu setzen. Die Hauptakteure aber schämten sich wegen dieses Schildbürgerstreichs derart, daß sie sich am selben Abend aus Sauerbrunn verflüchtigten...".

Noch während der kommunistischen Diktatur meldete sich in die westungarische "Ruhe" auch die Weltpolitik. Wenngleich bei den früher stattgefundenen Friedensverhandlungen die Meinung vertreten wurde, daß die geschichtliche Grenzlinie zwischen Österreich und Ungarn unverändert erhalten bleiben solle, wurde in der 2. Hälfte des Jahres 1919 bekannt, daß die Großmächte Westungarn an Österreich anzuschließen wünschen. Daraufhin erbat die Ödenburger "Vörös Ùjság" von Béla Kún, dem obersten Repräsentanten von Räte-Ungarn, ein telefonisches Interview. Kún äußerte sich wie folgt:

"Die Räteregierung läßt auf keinen Fall zu, daß Westungarn an Österreich angeschlossen wird...".

Auf der Sitzung des Arbeiterrates von Ödenburg echoten alle Redner: "Wir werden Westungarn mit Waffengewalt verteidigen!"

Inzwischen wurde gemäß den Deutsch-Österreich übergebenen Friedensbedingungen Westungarn und Ödenburg im Hinblick auf die Volkszugehörigkeit dieses Gebietes Österreich zugesprochen. Die Räteregierung brach inzwischen zusammen; ihre Führer flüchteten über Bruck/Leitha nach Wien.

In Ungarn bildete sich zunächst eine von den Gewerkschaften geführte Regierung, danach einander abwechselnd bürgerliche Regierungen. Diesen folgten schon dauerhaftere Kabinette, wie Teleki oder Bethlen, bis am 16. November Admiral Miklós Horthy mit Billigung durch die Entente mit seinen Truppen in Budapest einmarschierte.

Horthy übte praktisch eine Militärdiktatur aus, doch konnte in dem wirren Zustand, in dem sich das Land befand, nur damit Ordnung geschaffen werden. Zum besseren Verständnis der später eintretenden Anlässe ist es angezeigt, festzustellen, daß Horthy schon im Dezember 1919 verfügt hatte, im Verband jeder Infanteriedivision aus gänzlich verläßlichen Offizieren, Unteroffizieren und Mannschaften als 10. Bataillon ein Jägerbataillon aufzustellen. Dessen Kern war die frühere Offizierskompanie. Im übrigen wurde Horthy am 1. März 1920 durch die Reichsversammlung einstimmig zum Reichsverweser gewählt.

Die Sorgen bezüglich der Versorgung wuchsen im Winter 1919/20 derart an, daß sie jene der Kriegswinter noch übertrafen. Wegen des katastrophalen Kohlemangels schränkte man im Winter den bisherigen Verkehr der Personenzüge an Sonntagen ein, danach dehnte man diese Pause auch auf einzelne Wochentage aus. Vom Heiligen Abend an bis zum 2. Jänner verkehrten in Ungarn überhaupt keine Personenzüge. Der Mangel an Kohle milderte sich erst im Frühling wieder.

Der Durchzugsverkehr an der Eisenbahnlinie Wiener Neustadt-Ödenburg stand einige Monate hindurch still, nachdem das österreichische Eisenbahnpersonal als Antwort auf die von der ungarischen Regierung gegen die Arbeiter gerichteten Repressalien den Boykott gegen Ungarn aussprach. Diesem von den österreichischen Gewerkschaften ausgesprochenen Boykott schlossen sich auch die Bediensteten der österreichischen Post an. Als Gegenmaßnahme verordnete auch die ungarische Regierung die Schließung der Grenze, sodaß die Züge nur bis Neudörfl verkehrten. Jene, die weiterzufahren beabsichtigten, mußten zu Fuß ihren Weg fortsetzen. Doch fehlten dem mit der Lebensmittelnot kämpfenden Osterreich die Lieferungen aus Ungarn außerordentlich, und gegen die im Austausch angebotenen Industrieartikel wurde der Boykott wiederholt gebrochen und damit auch die verordnete Grenzsperre. Da sie also ihr Ziel nicht erreichte, wurden Anfang August die Verkehrsbeschränkungen von beiden Seiten aufgehoben.

Wegen des Anschlusses des westungarischen Gebietes wurde das Verhältnis Österreich zu Ungarn spannungsgeladen. Am 10. September 1919 unterschrieb Kanzler Renner den Friedensvertrag von Saint Germain. Ungarn wiederum wurde im Friedensvertrag von Trianon am 4. Juni 1920 verpflichtet, die abzutretenden Gebiete ein Jahr nach der Ratifikation zu übergeben. Ungarn war bestrebt, die Ratifikation des Vertrages möglichst hinauszuzögern, um auch damit die Übergabe aufzuhalten. Sowohl in Ungarn als auch in Österreich kam es zu heftigen Demonstrationen, in denen der jeweils andere Teil des Verrates bezichtigt wurde. In der Gebietsfrage waren zwar Verhandlungen der beiden Regierungen im Gange, die eine friedliche Beilegung des Streites zum Ziele hatten, doch blieben sie erfolglos. In diesem Zusammenhang mußten zwischen den beiden Ländern zahlreiche gewichtige Fragen geklärt werden.

Die Bahnlinie Wiener Neustadt-Ödenburg mit der angeschlossenen österreichischen Linie war ein und dieselbe Privatbahngesellschaft, war im Besitz der Südbahn, und ihr Betrieb konnte von der Grenzziehung nur wenig berührt werden. Lediglich die Leitung konnte von der Betriebsdirektion der Budapester Südbahn an die Leitung der Wiener Direktion gelangen, und zwar mit Einschluß der Station Harka-K6phaza. Nachdem das untergeordnete Dienstpersonal wie auch der Arbeiterbestand überwiegend deutsche, ein kleiner Teil auch kroatische Muttersprache hatte und auch ein Großteil des Beamtenpersonals so zusammengesetzt war, berührten die drohenden politischen Veränderungen das Personal nur unwesentlich.

Die Eisenbahner erfuhren zu allererst aus den Wiener Blättern, daß Westungarn einschließlich Ödenburg am 20. Juli 1919 Österreich zugesprochen wurde. Jedoch erst 1920 kam es dazu, daß Bedienstete der Bahn auf eigenes Ansuchen hin zu den Linien der ungarischen Südbahn versetzt werden konnten. Unter anderen resignierte auch Bahnhofsvorstand Béla Bartal, Oberkontrollor, und der Bahnmeister von Mattersdorf. Am 25. Juli 1921 trat der XXXIII. Gesetzesartikel in Kraft, der die Annahme des Beschlusses des Trianoner Friedensdiktates enthielt. Am 6. August 1921 hatte die Alliierte Kontrollkommission in Ödenburg ihre erste Sitzung. In einer dabei angenommenen Resolution wurde mitgeteilt, daß die bewaffneten ungarischen Kräfte die Zone "A" bis zum 28. August, die Zone "B", zu der auch Ödenburg gehörte, bis zum 29. August zu räumen haben.

Die ungarische Regierung entsandte nach dem Rückzug des Militärs zur Aufrechterhaltung der Ordnung das I. und II. Gendarmerie-Reservebataillon, das waren vordem die Szegeder sowie Székesfehérvárer Jägerbataillone. Damals war es schon offensichtlich geworden, daß, nachdem die Verhandlungen zu keinem Ergebnis - zu einem friedlichen Abkommen - führten, für den ungarischen Teil lediglich die Möglichkeit eines bewaffneten Aufstandes übrigblieb, um noch etwas von Westungarn zu retten. Mit Ermunterung der Regierung drängten zahlreiche bewaffnete Gruppen nach Westungarn; gleichzeitig besetzten österreichische Gendarmerieformationen und Zollwacheeinheiten am 26. und 27. August die Zone "A".

Der Zugsverkehr wurde sofort eingestellt. An den Stationen erschienen mit den bewaffneten österreichischen Kräften Wiener Neustädter Eisenbahnergruppen und übernahmen den Dienst. Einige Stunden später brachten sie den Personenzugsverkehr in Bewegung, vorläufig nur bis zur Station Schattendorf.

Die ungarische Gendarmerie errichtete zwischen Ágfalva und Ödenburg eine Sperrlinie und besetzte Ödenburg. Zwischen Ágfalva und Ödenburg wurden die Schienen entfernt und damit die Strecke unterbrochen.
In den frühen Nachmittagstunden des 28. August überfielen die ungarischen Aufständischen die bereits nach Ágfalva gelangten österreichischen Formationen um sie aus der Ortschaft zu werfen. Aber nach heftigem Feuergefecht in Bahnhofsnähe zogen sich die Freischärler zurück. Ágfalva blieb weiterhin durch österreichische Truppen besetzt. Die österreichischen Verbände wurden - laut ungarischen Quellen - am nächsten Tag mit etwa 500 Mann per Eisenbahntransport bis Ágfalva verstärkt.

Am 8. September wurde die Ortschaft in der Früh von Aufständischen umzingelt. Durch einen starken Feuerüberfall erreichten sie, daß die österreichischen Kräfte den Ort räumten; die Truppen sind dann in den auf dem Bahnhof stehenden Zug gestiegen, der in Richtung Mattersdorf zurückfuhr.

Nach den wiederholten Angriffen räumte die österreichische Regierung die schon besetzt gewesenen Gebiete Westungarns. Doch behielt sie an der Bahnlinie die Station Neudörfl, um damit den Übergang über die Leitha sicherzustellen. Der Bahnverkehr in den von den Aufständischen rückeroberten Gebieten wurde in Gang gesetzt; der Grenzübergang jedoch ruhte. Der Wiener Neustädter Arbeiterrat gestattete den Verkehr des Balaton-Expreßzuges nicht, so daß er über Ebenfurth umgeleitet werden mußte. Am Tag darauf genehmigte ihm der Wiener Arbeiterrat auch hier nicht die Fahrt. Allerdings erreichten die Beamten der GySEV, daß der Expreß doch noch über Ebenfurth in beide Richtungen verkehren konnte. So wurde diese Linie, beginnend mit dem 15. Oktober, für eine Woche Knotenpunkt des westlichen Eisenbahnverkehrs bis zur Bereinigung der Probleme des Ödenburger Gebietes.

Zur Klärung der entstandenen Situation erbat die ungarische Regierung die Vermittlung Italiens. Ungarns Regierung verpflichtete sich, außer Ödenburg und Umgebung Westungarn, und was die österreichische Regierung früher verlangt hatte, abzutreten und eine Volksabstimmung in Ödenburg zuzulassen. Mit dem 13. Oktober 1921 kam der Vertrag von Venedig zustande. Österreich war zu dessen Anerkennung gezwungen, da Italien nur unter dieser Bedingung bereit war, für Österreich bei der Beschaffung der Völkerbundanleihe einzutreten.

Am 20. Oktober 1921 kam Karl IV. (Kaiser Karl I.) unerwartet in Ödenburg an, um mit den sich ihm anschließenden loyalen Truppen den Thron zurückzuerobern. Vor der Hauptstadt kam es jedoch zum Bruderkampf zwischen den Truppen des Reichsverwesers und jenen des Königs (Kaisers), wobei dessen Truppen eine Niederlage erlitten. Dem König (Kaiser) hatten sich auch die Gendarmerieeinheiten Ostenburgs angeschlossen. Trotzdem war Ödenburg nicht ungeschützt, denn aufständische Truppen nahmen ihren Platz ein.

Am 6. November 1921 erreichte die ungarische Regierung, daß die Aufständischen die Zone "A" räumten. Die österreichischen Einheiten begannen erst am 15. November mit der Inbesitznahme, die am 5. Dezember abgeschlossen wurde. Sofort organisierten sie neuerlich den Bahnverkehr von Wiener Neustadt über die Zonengrenze bis nach Ödenburg und zurück, wobei der Verkehr auch in den Tagen der Volksabstimmung ohne größere Hindernisse abgewickelt wurde.
Die Beamten der von dem Anschluß des Gebietes an Österreich berührten Eisenbahninstitution begannen schon im August mit der Organisation der durch die neue Grenzziehung zustande gekommenen neuen Verhältnisse hinsichtlich des Bahnverkehrs sowie der Zollfragen. Seit Beginn des Monats Dezember gab es wiederholt Beratungen zu diesem Fragenkomplex. Die ungarische Regierung - in Kenntnis der österreichischen Besorgnisse - versicherte dem österreichischen Nachbarn, daß sie, auch wenn Ödenburg als Ergebnis der Volksabstimmung ungarisch bleiben sollte, den freien Eisenbahnverkehr durch Ödenburg von und nach Osterreich garantieren werde.