Rückblick aus der Sicht von 1995 - Staunen, Wehmut und Ärger

Die von Orenstein & Koppel im Jahre 1949 gebaute Lokomotive Nr. 31 verkehrte meist zwischen St. Lorenz und Mondsee, versah aber auch Rangierdienste. (Foto: Dipl. Ing. H. Navé, 24. 9. 1957)
Das Heizhaus Salzburg-Itzling mit der Lokomotive Nr. 12, der einzigen SKGLB-C1 mit einem zusätzlichen Kohlenkasten. (Foto: Dipl. Ing. H. Navé, 24. 9. 1957)
Die starke, aber langsame Lokomotive Nr. 20 in dem ihr wesensgerechten Güterdienst. (Foto: Dipl. Ing. H. Navé, Juli 1957)
Die Lokomotive Nr. 31 beim Rangieren. Da die SKGLB keine Drehscheiben besaß, befanden sich die Lokomotiven immr in gleicher Stellung: auf der Fahrt nach Salzburg mit dem Rauchfang voraus, in der Gegenrichtung war das Führerhaus vorne. (Foto: Ing. W. Kramer, 22. 4. 1957)
In der Knotenstation St. Lorenz: Neben den Lokomotiven Nr. 7 und Nr. 3 der Triebwagen TCa 672 (Pendelverkehr nach Mondsee). (Foto: Ing. W. Kramer, 29. 9. 1957)
Ein von St. Lorenz Richtung Salzburg fahrender Zug. (Foto: Dipl. Ing. H. Navé, August 1957)
Hinter der (normalspurigen) Lokomotive "GARTENAU" (SETG Nr. 6) erhebt sich der imposante Bau der SKGLB in Salzburg, in dem die Verwaltung und die Bahnhofsräumlichkeiten untergebracht waren (Foto Kraus/Fuchs). Betrieblich hatte die SKGLB damals nichts Gemeinsames mit der SETG.
Neben den mächtigen Anlagen des Hauptbahnhofs Salzburg (mit Rundheizhaus, heute noch in Funktion) nehmen sich die Anlagen für die SKGLB relativ bescheiden aus. Die Weiche bei km 63,1 war zweckentsprechend angeordnet: der angekommene Zug hielt kurz vor der Weiche, wie es das Foto (Sammlung Hlavac, mit Lokomotive Nr. 7 um 1910) erkennen läßt. Die später aßgekuppelte Lokomotive setzte sich über diese Weiche ans andere Zugende.
In dem Bereich, in dem die Gleise der SETG parallel mit jenen der SKGLB verliefen, hielt ein unbekannter Fotograf (Sammlung Griebl) eine der markanten SKGLB-Lokomotiven fest. Kurz nach dieser Örtlichkeit
Die Trasse der SKGLB kreuzt bei der Erzherzog-Eugen-Straße ein Normalspurgleis zwischen SETG und Bundesbahn. Die Häuser hinter dem Führerhaus gehören zur Ischlerbahnstraße, welcher Name heute noch an die Bahn erinnert. (Foto: Mag. A. Luft, 30. Juli 1957, Lokomotive Nr. 10).
Die wuchtige Heeresfeldbahn-Lokomotive Nr. 22 bildet mit den formschönen und geräumigen Vierachsern einen durchaus imposanten Zug. (Foto: Ing. W. Kramer, 2. 9. 1956)
Die Lokomotiven Nr. 11 mit einer typischen Garnitur von SKGLB Zweiachsern. (Foto: Ing. W. Kramer, 2. 9. 1956)

In letzter Zeit habe ich mehrmals meinen Text von 1958 genau gelesen und staunte über mich selber, daß ich den Mut aufbrachte, aus meinem (damals besonders) kleinen Lehrergehalt diese risikoreiche Schrift, die mich drei Monatsgehälter gekostet hat, zu finanzieren, daß ich dabei nicht sparte und die wenigen Bilder in bestem Kunstdruck herstellen ließ, daß ich in meiner ersten selbstverlegten Publikation der Verkehrspolitik mehr Platz einräumte als der Lokomotivgeschichte und daß ich keine Bedenken hatte, Ansichten zu äußern, die zu jenen Zeiten im Gegensatz zu den tonangebenden 95% von Eisenbahnfachleuten, Verkehrspoltikern und Verkehrswissenschaftlern - nicht erst zu reden von den Journalisten, für die damals die Gleichung Verkehr=Autoverkehr galt, - standen. Wie sehr 1958 die Eisenbahn weg vom Fenster war, zeigt folgende Begebenheit. Ein älterer Kollege aus dem Sozialistischen Lehrerverein, der auch im sozialistischen Touristenverein Naturfreunde aktiv war und dem meine SKGLB-Schrift gefallen hatte, schrieb eine Besprechung für die Zeitschrift "Der Naturfreund"; die Redaktion wies sie aber mit der Begründung zurück, sie könne sich nicht gegen den Fortschritt(!!) stellen. Übrigens lehnte auch Dr. TA von der Österreichischen Verkehrswissenschaftlichen Gesellschaft, der ich seit 1945 angehöre, eine Besprechung dieser Schrift ab.

Wie hat sich die Einstellung zum Problem Schiene - Straße seither, zumindest in Sonntagsreden, geändert! Selbst so mancher Mitarbeiter von Autofahrerzeitschriften, die um 1958 am liebsten alle Bahnstrecken beseitigt hätten, fordert heute angesichts von Stauungen sogar auf Autobahnen, weil der Straßenbau hinsichtlich Finanzierbarkelt und Platzbedarf seine Grenzen erreicht hat, besseren Schienenverkehr, wenn auch mit dem Hintergedanken, daß der andere Autofahrer ihn benützen möge, damit er selber wieder mehr Platz auf der Straße habe. Übrigens: während eine Busspur den Unwillen der Autofahrer auslöst, stört sie der Regionalverkehr auf Schienen nicht.

1957 galt die veröffentlichte Meinung, daß wir keine Eisenbahn mehr brauchen, sobald 50% der Bevölkerung Autobesitzer sind. Heute lehrt uns die bittere Realität, daß wir die Eisenbahn eben deswegen brauchen, weil die Hälfte der Einwohner mit dem Auto fährt, bzw. fahren will. Die Straßen sind zum Teil so sehr verstopft, daß die Eisenbahn mit ihrem separaten Fahrweg oft der einzige Ausweg für ein zügiges Vorwärtskommen bleibt.

Auch Naturfreunde sehen heute das Verkehrsproblem realistisch: die Wiener Naturschutz-Nachrichten, Heft 1/1989, Seite 5, fordern, ab bestimmten Entfernungen Bahntransport zwingend vorzuschreiben. Leider blockieren diese Forderung selbst Bahnmanager, denn heute bieten sie kaum noch dezentrale Verlademöglichkeit an und schwere Holztransporter rasen unfallträchtig durch ganz Europa auf der Straße.

Als unverbesserlicher Optimist hoffe ich, daß der widersprüchliche Satz Geschichte lehrt, daß Geschichte nichts lehrt, doch nicht stimmt. Mit dem Abdruck des Textes von 1958 sei einer Aufforderung von Professor Josef Michael Schopf (Technische Universität Wien, Institut für Straßenbau und Verkehrswesen) Nachdruck verliehen: Die Politiker müssen endlich reinen Wein einschenken, daß sie schon vor Jahrzehnten massive Fehler begangen haben (Salzburger Nachrichten, 2. März 1990, Seite 3). Aber vor allem geht es um entscheidende Fehler der Gegenwart, die gegen besseres Wissen gemacht werden, wie Professor Dr. Hermann Knoflacher im Kurier vom 3. Juni 1989, Seite 27, schrieb.

Nur ein Beispiel sei hier dafür angeführt, daß ein attraktiver Verkehr eine Regionalstrecke, die den Betreibern als stillegungsreif erschien, aufblühen läßt: Dank eines Taktfahrplans auf der Weinviertel-Strecke von Obersdorf nach Groß Schweinbarth stieg die tägliche Fahrgastfrequenz innerhalb nur eines Jahres auf das Zehnfache! Wie segensreich hätte sich eine Modernisierung dann erst für eine immerhin 64 km lange Strecke wie die SKGLB durch eines der bedeutendsten Tourismusgebiete Österreichs, die an beiden Enden an Hauptstrecken anschließt, ausgewirkt! Hätte die offizielle Verkehrspolitik Österreichs nur 50% meiner Forderungen von 1958 durchgesetzt, stünde unsere Umwelt heute anders da!

Ein Vergleich der SKGLB mit der (normalspurigen) Lokalbahn von Salzburg nach Lamprechtshausen läßt erahnen, wie Die SKGLB heute dastünde, wäre sie beizeiten elektrifiziert worden. Die Salzburger Lokalbahn, die auch schon mehrmals stillgelegt und 1982 zumindest zur Kohlenschleppbahn degradiert werden sollte, fährt heute im Personenverkehr im Halbstundentakt, bietet auch einen Mitternachtsexpreß und befördert im Güterverkehr (18 Anschlußgleis-Kunden! ) 284.000 Tonnen (1994), was die Straße um etwa 46.000 LKW-Fahrten entlastet. Die Zahl der Fahrgäste stieg von 1982 bis 1994 von 1,5 auf 3,2 Millionen. Dabei ist ihr Verkehrsgebiet mit Abstand nicht so bedeutend (wenig Fremdenverkehr) wie das der SKGLB. Der Einwand, ein Vergleich hinke, denn die SKGLB sei ja nur schmalspurig gewesen, ist leicht zu entkräften. Die Waldenburger-Bahn bei Basel hat mit 750 mm sogar eine etwas kleinere Spurweite als die SKGLB, wurde aber dennoch 1953 elektrifiziert und erst kürzlich mit neuen Triebwagen ausgestattet, sodaß sie heute mit 80 km/h verkehren kann. Wie prächtig könnte solch ein Betrieb auf der SKGLB das Salzkammergut effektiv und umweltfreundlich bedienen. Der Nachteil des Spurwechsels wiegt im Güterverkehr heute im Zeitalter eines gut ausgebauten Verkehrs mit Containern kaum störend, welche ich schon in meinem Text von 1958 (siehe Seite 12) empfahl, obwohl damals dieses System erst im Entstehen begriffen war.

Victor Grün (1903-1980), der als vertriebener österreichischer Architekt in den USA (dort Victor Gruen) sehr erfolgreich wirkte und in den sechziger Jahren nach Österreich zurückgekehrt war, sagte einmal in einem Vortrag, nach seiner Erfahrung dauert es in der Regel zwanzig Jahre, bis eine vernunftgemäße Erkenntnis Politiker zum Handeln veranlaßt. In der Verkehrspolitik reichen dazu nicht einmal siebzigjährige aus. In ihr kommt noch hinzu, daß sachgerechte und umweltrelevante Fakten auf unanfechtbaren mathematischen Ergebnissen basieren, die Entscheidungsträger aber handeln nach liebgewordenen Illusionen.

Die Jahre um 1958/59, als meine beiden verkehrspolitisch und umweltrelevant durchdrungenen Broschüren über die SKGLB herauskamen, markieren aus heutiger Sicht jenen Zeitpunkt, zu dem Europa von einem weitgehend menschen- und umweltgerechten Wirtschafts- und Agrarsystem zu einem Agieren ohne menschliches Maß übergeht. In den fast 40 Jahren seither haben wir auf unserer Erde ins Wanken gebracht, was die Natur in Milliarden von Jahren geschaffen hat.

Die rücksichtslosen Industriestaaten (mit 12% der Weltbevölkerung) verbrauchen 90% der Weltvorräte an Bodenschätzen und betreiben dabei eine gigantische Umweltzerstörung ohne Rücksicht auf unsere Nachkommen. Unsere Umweltpolitiker aber reden nur und erinnern mich an Experten, die über die zweckmäßigste Konstruktion eines feuersicheren Hauses debattieren, während die ganze Stadt bereits von einem Flächenbrand heimgesucht wird. Übrigens hat Dipl.-Ing. Hubert Anselm in seiner SKGLB-Denkschrift von 1957 (siehe Seite 46) ausdrücklich den großen ökologischen Vorteil der Eisenbahn im allgemeinen und des elektrischen Betriebs im besonderen betont. Heute behaupten nämlich neo-grüne Autoren immer wieder, eine umweltbezogene Verkehrsbetrachtung habe erst in den siebziger Jahren begonnen.

Mein massives Eintreten für einen attraktiven regionalen Bahnverkehr 1958 in der SKGLB-Broschüre und drei Jahre später in dem Buch Schmalspurig durch Österreich stand damals im Gegensatz zur offiziellen Philosophie der Bahnmanager so ziemlich in ganz Europa (Ausnahme: Schweiz). Heute nehmen von diesen einige schon zur Kenntnis, daß 80% ihrer Fahrgäste auf den Nahverkehr entfallen und nur 20% auf den lange Zeit für alleinseligmachend gehaltenen Fernverkehr. So finden sich zum Beispiel in einem Artikel "Der integrale Taktfahrplan in Deutschland" von Dipl.-Ing. Andreas Schulz, Projektleiter "Nahverkehr Neu" im Geschäftsbereich Nahverkehr der DB AG, in Heft 9-10/1994 der Zeitschrift Eisenbahn-Revue international Formulierungen, wie ich sie in den beiden Schriften von 1958 und 1961 gebrauchte, die man aber jahrzehntelang in bahnoffiziellen vergeblich suchte. Dipl.-Ing. Schulz nennt als Ziel, den enormen Nachholbedarf bei der Modernisierung des Regionalverkehrs zu befriedigen und weist darauf hin, daß diese Forderung von den an die Schweiz angrenzenden Bundesländern ausgeht (Seite 277). Weiters erinnert er (Seite 278) an die Dominanz des Freizeit- und Gelegenheitsverkehrs, der zur Zeit viel stärker wächst als der Pendlerverkehr. Dipl.-Ing. Schulz erkennt richtig: Bemerkenswert ist, mit welch geringem Mehraufwand das Taktsystem realisiert werden konnte und daß die Bahn gerade im früher totgesagten Regionalverkehr eine Chance hat (Seite 279). Er lobt auch die ÖBB, die (unter Übleis) ihre Nahverkehrs Fahrpläne vorbildlich ins Gesamtsystem einpaßten (Seite 278). Man kann nur den gesamten Verkehr gesunden, dazu bedarf es der Kostenwahrheit, welche entscheidungsbefugte Politiker jedoch leider nur in Sonntagsreden kennen.

Um 1960 entfiel in den Industriestaaten Europas 80 bis 90% der nationalen Transportleistung auf die Schiene. Heute sind es meist nur mehr 5 bis 10%, und wenn uns die neuen Bahnmanager vorjubeln, ihre Fracht sei im letzten Jahr um 3% gestiegen, so muß man objektiverweise hinzufügen, daß am gleichen Zeltabschnitt die der Lkw-Flotten um 10% gestiegen ist, die Eisenbahn also noch weiter ins Hintertreffen gelangte.

Ging die 1. Auflage meiner SKGLB-Schrift mit dem Einleiten einer massiven Dezimierung des Eisenbahnnetzes einher, so trifft sich die 2. Auflage wieder mit einer entscheidenden Wende in der Eisenbahngeschichte, mit der Zerschlagung der in mehr als einem Jahrhundert aufgebauten Schienennetze.

Die Zertrümmerung der Straßenbahnnetze, die man heute allgemein als großen Fehler erkannt hat, findet heute eine Parallele in der Zertrümmerung von Eisenbahnsystemen, die in mehr als 100 Jahren organisch gewachsen waren und der Wirtschaft sowie der Bevölkerung bestens dienten. Es zeigt sich, daß die von der EU geforderte Teilung in Infrastruktur und Betrieb - und eventuell sogar noch weiter in Güter- und Personenverkehr in eigene Gesellschaften - ein gut ausgeklügelter Schachzug war, um die Schiene aus einer flächendeckenden Bedienung zu drängen und diese dem Lkw zu sichern. Die Bahn soll sündteure Hochgeschwindigkeitsstrecken und Monstertunnel für den Verkehr zwischen Ballungszentren bauen, diese sollen natürlich rentabel sein und so wird es zu gigantischen Bahntarifen kommen, die keiner mehr wird bezahlen wollen. Die Auto-Fundamentalisten in der derzeitigen EU denken auch gar nicht daran, die oft angekündigte Kostenwahrheit im Verkehr zu realisieren, denn das würde den schweren Lkw Verkehr auf jene Bereiche zurückdrängen, wo keine Eisenbahnen bestehen. Wissenschaftlich ist erwiesen, daß der Straßenverkehr pro Transporteinheit acht- bis zehnmal soviel Energie verbraucht wie die Schiene. Echte Energiekosten würden die Überlegenheit der Schiene klar zeigen.

Eine vernünftige Verkehrspolitik findet sich nur in Ankündigungen, auf entscheidende Aktionen wartet man seit sieben Jahrzehnten. Was für ein mächtiges Potential muß dem System Eisenbahn innewohnen, daß es in 70 Jahren verkehrsblinden Politikern nicht gelungen ist, ihm den Garaus zu machen!

Auszug - mit freundlicher Genehmigung des Verlages - aus dem Buch "S.K.G.L.B. - Von Salzburg nach Bad Ischl", Seite 28 bis 31, Verlag J. O. Slezak, ISBN 3-85416-182-4

Alle Bilder mit freundlicher Genehmigung des Verlages - aus dem Buch "S.K.G.L.B. - Von Salzburg nach Bad Ischl", Verlag J. O. Slezak, ISBN 3-85416-182-4