Aus der Geschichte

Bautrupp mit einer Feldbahnlok, die vermutlich nur während des Baues Verwendung fand. (Foto: Sammlung Niel)

Es gab in der zweiten Hälfte des vorigen Jahrhunderts wohl kaum eine Gegend, in der nicht mehr oder weniger fachmännisch konkrete bis nebulose Eisenbahnprojekte diskutiert wurden. So war 1885 eine normalspurige Flügelbahn von Fürstenfeld oder Feldbach über Ilz durchs Feistritztal nach Ratten im Gespräch. Später gab es das Projekt einer Schmalspurbahn Weiz - Anger - Birkfeld - Ratten - Rettenegg - Steinhaus am Semmering mit einer Abzweigung Anger - Stubenberg - Kaindorf - Pöllau. Ferner existierte noch ein Plan, die meterspurige elektrische Kleinbahn Graz--Maria Trost über St. Radegund, Weiz und Anger bis Hartberg weiterzuführen und hieran noch eine Nebenlinie Anger - Birkfeld anzuschließen.

Bis ins Stadium der Einreichung an die Eisenbahnbehörde gelangte aber lediglich ein Projekt des Grazer Technikers Lichtenfels, datiert vom 11. Oktober 1885, das eine meterspurige Lokalbahn Weiz - Rettenegg im Anschluß an das Normalspurprojekt Gleisdorf - Weiz vorsah. Mit Datum vom 6. Jänner 1886 wurde dazu noch ein Projekt nachgereicht, das die Ausführung auch des Abschnittes Gleisdorf - Weiz in Meterspur vorsah. Von allen Bahnprojekten in diesem Raum wurde zunächst aber nur die eben genannte 15 km lange normalspurige Flügelbahn Gleisdorf - Weiz verwirklicht; sie nahm am 28. Juli 1889 ihren Betrieb auf.

1901 beschloß die private Lokalbahn Gleisdorf - Weiz, ihre normalspurige Linie über Anger nach Pöllau zu verlängern. Gleichzeitig traten die Bezirksvertretungen von Weiz und Birkfeld als Interessenten für einen Flügel von Anger nach Birkfeld auf den Plan. 1902 gedieh die Angelegenheit zur Vorlage von Generalprojekten an das Eisenbahnministerium, welches noch im gleichen Jahr eine Trassenrevision anordnete. Ihr Ergebnis war entmutigend: Die Geländeverhältnisse (siehe dazu auch das Kapitel "Streckenbeschreibung") würden, wie es in dem Bericht hieß, eine das Ausmaß bei Lokalbahnen weitaus überschreitende Materialbewegung erforderlich machen. Die Schwierigkeiten für eine Normalspurtrassierung sind auch aus der um 6 km größeren Streckenlänge Weiz - Anger (19 km gegenüber 13 km der später ausgeführten Schmalspurbahn) zu ersehen. Das Ministerium riet daher zum Bau einer Schmalspurbahn, was die Interessenten indes hartnäckig ablehnten. 1904 kam es zum unvermeidlichen Krach, als das vorfinanzierende Bauunternehmen, das offensichtlich die die Zahlungskraft der Konzessionswerber übersteigenden Ausmaße des Projektes erkannt hatte, sich plötzlich zurückzog.

Es blieb nun den Interessenten nichts anderes übrig, als die Pläne für eine Schmalspurbahn aus der Schublade zu holen. Als Spurweite konnte aus den bekannten strategischen Überlegungen (Fahrzeugrequirierung für einen möglichen Kriegseinsatz in Bosnien) natürlich nur 760 mm in Frage kommen. Den Flügel Anger - Pöllau - Hartberg ließ man fallen und beschloß, zunächst Weiz - Birkfeld in Angriff zu nehmen. Birkfeld - Ratten (allenfalls Rettenegg) sollte zu einem späteren Zeitpunkt folgen. Am 12. November 1907 traten die Konzessionswerber mit einem aufs sorgfältigste ausgearbeiteten Ansuchen an das Eisenbahnministerium heran, im November 1908 fand die politische Begehung statt und am 15. Juli 1909 erteilte das Ministerium den Baukonsens, dem unverzüglich die Aufnahme der Arbeiten folgte. Am 15. September 1910 erfolgte die endgültige Konzessionsverleihung, mit der auch die Zusage eines staatlichen Baukostenzuschusses von 600.000 Kronen verbunden war. Die Bahn sah aber davon nie einen Heller. Die Bauunternehmen mußten zur Ermöglichung der Lohnauszahlung sogar private Kredite aufnehmen, und als vermutlich einzige österreichische Lokalbahn wurde die Feistritztalbahn gänzlich ohne staatlichen Zuschuß errichtet. Am 10. Dezember 1911 erfolgte die technisch-polizeiliche Prüfung und am 14. Dezember 1911 in feierlichem Rahmen die Betriebseröffnung; der fahrplanmäßige Betrieb wurde tags darauf aufgenommen. Den Betrieb ließ die Lokalbahn-AG Weiz - Birkfeld durch die kkStB führen.

Der Weiterbau der Strecke nach Ratten begann kurioserweise mitten im Ersten Weltkrieg. Als nämlich 1915 Italien den Mittelmächten den Krieg erklärte, wurden die italienischen Holzfirmen Ermolli in Ratten und Lazaris in Rettenegg unter militärische Verwaltung gestellt. Die Militärbauleitung Feldbach, die den Abtransport großer bei den genannten Firmen lagernder Holzmengen durchzuführen hatte, sah sich wegen der unzureichenden Verkehrswege dabei großen Schwierigkeiten gegenüber. Die Militärbehörden nahmen mit den örtlichen Zivilstellen (Gemeinde Weiz und Bezirksvertretung Birkfeld) Fühlung auf und man einigte sich in kurzer Zeit auf eine beiden Seiten dienliche Lösung. Am 19. Juni 1916 brachten die örtlichen Interessenten einen Antrag auf Bewilligung der technischen Vorarbeiten ein, den das Eisenbahnministerium schon am 29. August positiv beschied. Auf einem am 10. Dezember in Ratten abgehaltenen "Öffentlichen Eisenbahn- und Interessententag" konnte die Finanzierungsfrage völlig geklärt werden, so daß schon am 19. Dezember 1916 ein Vertrag mit der Heeresverwaltung abgeschlossen werden konnte, wonach sich die Interessenten verpflichteten, die Grundeinlösung vorzunehmen, die Pläne anzufertigen und das Rollmaterial anzukaufen. Die Heeresverwaltung würde hingegen für die Bereitstellung der Arbeitskräfte (in erster Linie Kriegsgefangener), deren Unterkunft und Verpflegung, für Werkzeug und Beschaffung der Baumaterialien sorgen. Sie verpflichtete sich weiters, die 24 km lange Strecke Birkfeld - Rettenegg binnen Jahresfrist herzustellen und an die Konzessionäre zu übergeben.

Als jedoch im Frühjahr 1917 die Bauarbeiten begannen, zeichnete sich bald ein Debakel ab. Statt der zugesagten 1000 konnte das Militär nur 300 Kriegsgefangene stellen, deren Gesundheitszustand zudem ein solcher war, daß sie zu schweren Arbeiten kaum fähig waren. Von einer Einhaltung des Bautermins konnte keine Rede mehr sein, und als sich im November 1918 Altösterreich auflöste, war nicht einmal die erste der vier Sechskilometersektionen fertig. Angesichts einer katastrophalen Wirtschaftslage schlugen zunächst alle Versuche, den unterbrochenen Bau fortzusetzen, fehl.

1920 trat die neugegründete Feistritztaler Bergbau- und Industrie-AG, eine Gesellschaft zur Erschließung der Braunkohlevorkommen von Ratten und St. Kathrein, an die Konzessionäre mit dem Angebot heran, die halbfertige Bahn und die lagernden Materialien um fünf Millionen Kronen zu erwerben. Die Aktiengesellschaft verpflichtete sich, die Strecke Birkfeld - Rettenegg zunächst als Industriebahn sofort fertigzustellen und binnen zehn Jahren auch für den Personenverkehr einzurichten. Am 25. Februar 1921 wechselte die Bahn ihren Besitzer. Der Bau  -  allerdings nur bis Ratten, wo die Aktiengesellschaft ihre Gruben besaß - ging zügig voran und schon am 11. Mai 1922 wurde beim Verkehrsministerium um die Betriebsbewilligung angesucht. Der Antrag wurde jedoch wegen der wenig sorgfältigen Bauausführung und des desolaten Zustandes des eilends zusammengerafften Rollmaterials zurückgewiesen, was die Aktiengesellschaft allerdings nicht hinderte, den Betrieb aufzunehmen. Sie besaß dazu drei Bt-Loks, 110 vierachsige Feldbahn- und drei Dienstwagen, wozu später noch der NÖLB-Dampftriebwagen und eine C-Schlepptenderlok (näheres im Kapitel "Fahrzeuge«) kamen.

1923 stellte die Bergbau- und Industrie-AG den Antrag, sie vom Bau der für sie uninteressanten Teilstrecke Ratten - Rettenegg zu entbinden. Es war natürlich unvermeidlich, daß  -  in erster Linie für die Arbeiter der Kohlengruben - auf der gesetzwidrig betriebenen Bahn ein noch ungesetzlicherer inoffizieller Personenverkehr bestand, was dann 1925 zu einer Reihe von Kontroversen Anlaß gab. Auf der einen Seite drohte das Ministerium mit einer zwangsweisen Betriebsstillegung, auf der anderen ein Streik der um ihre Fahrmöglichkeit bangenden Bergleute. Die Zugförderung besorgten in der Hauptsache die drei Bt-Loks, während man mit dem Dampftriebwagen und der "Kolomea" genannten Schlepptenderlok wenig Freude erlebte. Eine arge Erschwernis für den Betrieb war, daß die Industriebahnfahrzeuge nicht auf die Lokalbahn Weiz - Birkfeld übergehen durften, so daß die Kohle in Birkfeld umgeladen werden mußte! Es paßten nämlich weder die Kupplungen zusammen, noch besaßen die aus Heeresbahnbeständen stammenden "Wagonetts" Vakuumbremsen oder wenigstens -Leitungen.

Die Umwandlung dieses provisorischen Fahrbetriebes in einen nach den üblichen Normalien war demnach ein dringliches Anliegen. Es war dabei aber naheliegend, daß die beiden technisch zu vereinheitlichenden Strecken auch betrieblich und kommerziell in einer Hand sein sollten; und so erwarb, nachdem unter der Leitung eines ehemaligen Pioniermajors der Eigenbetrieb der Industriebahn mit viel Improvisation fünf Jahre ohne ernstliche Zwischenfälle abgewickelt worden war, im Jahre 1927 die Lokalbahn-AG Weiz - Birkfeld die Industriebahnstrecke. In einem Vertrag vom 21. Februar 1928 übergab sie rückwirkend per 1. Jänner 1928 die Betriebsführung an das Steiermärkische Landes-Eisenbahnamt, welches an Stelle der Staatsbahnen laut einem gleichfalls rückwirkenden Vertrag vom 16. Mai 1922 seit 1. Juli 1921 auch schon die Stammstrecke Weiz - Birkfeld betrieb.

An einen Weiterbau bis Rettenegg konnte zwar auch die neue Eigentümerin nicht denken; sie mußte froh sein, die Sanierung der Strecke bis Ratten zwecks Konzessionierung als öffentliche Bahnlinie bestreiten zu können. Am 1. Juni 1928 erteilte das Bundesministerium für Handel und Verkehr die Konzession, am 24. April 1929 fand die politische Begehung statt und am 29. Mai 1930 erfolgte die feierliche Eröffnung des Personenverkehrs mit einem zur Abgeschiedenheit des Tales eigenartig kontrastierenden Aufgebot an Prominenz: mit dem Bundespräsidenten, dem Handelsminister und dem Nationalratspräsidenten war die erste politische Garnitur des Staates erschienen. Der fahrplanmäßige Personen- und Güterverkehr Birkfeld -  Ratten wurde am 1. Juni 1930 aufgenommen. Ob inoffiziell nach Schaffung der technischen Voraussetzungen vielleicht schon früher eine direkte Frachtbeförderung stattgefunden hat, war nicht zu eruieren, ist aber wahrscheinlich.

1933 wurde mit einem Austro-Daimler-Triebwagen der Versuch unternommen, einen attraktiven und dabei sparsamen Personenverkehr einzurichten, der aber nach wenigen Jahren an den Unzulänglichkeiten einer nicht ausgereiften Konstruktion scheiterte.

1942 ging die bis dahin private Bahn in das Eigentum des Landes Steiermark über, in dem sie sich noch heute befindet.

Im Gefolge der Absatzkrise bei festen Brennstoffen wurde 1960 die Rattener Kohlengrube geschlossen. Für die Bahn bedeutete der Ausfall der Kohlenfracht einen harten Schlag. Der Erfolg der Maßnahme, den Holzumschlag in Ratten durch einen modernen Portalkran zu erleichtern und dadurch die Versendung per Bahn zu stimulieren, stellte sich leider nicht im erhofften Ausmaß ein.

1967 wurden zwei neue Dieselloks beschafft, womit der regelmäßige Dampfbetrieb ein Ende nahm. Es folgte die schrittweise Einschränkung und schließlich gänzliche Auflassung des regulären Personenverkehrs, an dessen Stelle 1971 die "Bummelzüge" traten, was gleichzeitig zu einer Renaissance des Dampfbetriebes führte.

Der Bummelzugbetrieb hat unterdessen einen erfreulichen Aufschwung genommen, den man ihm kaum vorausgesagt hätte; erschien doch die Fremdenverkehrsstruktur gegenüber dem Murtal, woher die Bummelzugidee importiert wurde, weitaus ungünstiger. Die besondere Bedeutung des Bummelzuges besteht darin, daß hier rein zum Vergnügen, ja fast nur um des Fahrens willen, die Eisenbahn benützt wird, eine Verkehrsart, die zu Lande bislang eine reine Domäne des Kraftfahrzeuges war. Der Bahn erschließt sich hierdurch ein zusätzliches Verkehrsaufkommen selbst oder gerade auf Strecken, wo die Ungunst der Verhältnisse einen florierenden Normalpersonenverkehr nicht aufkommen läßt. Und sicher ist die kleine Bahn dadurch in der Öffentlichkeit bekannter geworden als je zuvor.

Die Erfolge des Bummelzuges können aber nicht darüber hinwegtäuschen, daß mit dem Volumen des Güterverkehrs die Bahn steht oder fällt. Trotz Rückganges der Beförderungsleistungen haben die StLB von einer Einstellung, die hinsichtlich des Abschnittes Birkfeld - Ratten schon 1960 mit der Auflassung der Rattener Kohlengrube in der Luft lag, Abstand genommen. Aus der Sicht des ÖIkrisenjahres 1973/74 schien diese Haltung der StLB und der steiermärkischen Landesregierung weitblickend und verantwortungsvoll. Der Schock war aber leider bei weitem nicht nachhaltig genug. Wohl kam es damals einem größeren Personenkreis zu Bewußtsein, daß die Eisenbahn das energiesparendste Verkehrsmittel ist, das sich zudem in der Hauptsache auf einheimische Energiequellen stützen kann. Demgemäß fand die Eisenbahn auch vermehrten Eingang in die bei Sonntagsreden obligaten Bekenntnisformeln zu Umweltschutz und Lebensqualität  -  praktische Auswirkungen zeigten sich indes nur beim Nahverkehr in den Ballungsräumen, während sich in der Praxis der Nebenbahnfrage nicht die geringste Änderung einstellte. Bei der weiter anhaltenden gesellschaftspolitischen Situation, in der ungeachtet aller Lippenbekenntnisse der Löwenanteil der Investitionsmittel der Straße zufließt, kann auch der durch die jahrzehntelange Aufrechterhaltung eines wirtschaftlich völlig unbefriedigenden Bahnbetriebes hinlänglich bewiesene gute Wille einer Bahnverwaltung keine Wunder wirken, und so muß damit gerechnet werden, daß über kurz oder lang der Abschnitt Birkfeld - Ratten stillgelegt werden wird; aber auch die Lage des unteren Streckenteiles ist angesichts des unangefochtenen Machtanspruches der Straße wie die der meisten Nebenbahnen alles andere als rosig. Wir können nur hoffen, daß es gelingen möge, die Einstellung dieser wunderschönen Bahnlinie solange hinauszuzögern, bis - was allerdings ohne neuerliches Auftreten einer einschneidenden Krisensituation schwer vorstellbar ist  -  doch noch Vernunft in die Verkehrspolitik einzieht.