Die Staats-Eisenbahn-Gesellschaft
Eröffnung: | Bruck/Leitha - Raab 24. Dezember 1855 |
Raab - Uj Szöny 11. August 1856 | |
Übernahme: | Österreichischer Teil 15. Oktober 1909 durch die k. k. österreichischen Staatsbahnen |
Ungarischer Teil 1. Januar 1891 durch die MÁV | |
Hauptstrecken: | Wien-Ostbahnhof - Stadlau - Laa/Thaya - Brünn - Böhmisch Trübau - Prag - Bodenbach |
Wien/Ostbahnhof - Marchegg - Preßburg - Gran - Weitzen - Budapest | |
Budapest - Temesvár (heute Timisoara) - Bazias und Orsova an die damalige rumänische Grenze | |
Nebenstrecke: | Wien/Ostbahnhof - Bruck/Leitha - Raab (Györ) - Uj Szöny (heute Komarom) |
Bruck/Leitha - Wolfsthal |
In der Monarchie war die StEG zur Zeit ihres Bestehens so heftig umstritten wie kaum eine andere; und das aus verschiedenen Gründen. Einer der Gründe lag im Nationalitätenproblem des Vielvölkerstaates. Österreich war infolge seiner schlechten Finanzlage gezwungen gewesen, die bereits in Betrieb genommenen Staatsbahnlinien an Private zu verkaufen. Durch die damals grassierende Entwertung des Geldes hatten auch Anleihen nicht genützt, und schließlich wurde am 19. Oktober 1854 von Kaiser Franz Josef I. die Bewilligung zum Verkauf der Staatsbahnlinien erteilt.
Interessanterweise waren es französische Finanzkreise, die sich für einen Ankauf österreichischer Staatsbahnlinien interessierten. Schon drei Tage später nach der Ausschreibung - erteilte die Staatsverwaltung an die Vertreter mehrerer französischer Kapitalisten - das Bankhaus Arnstein und Eskeles, an Simon Freiherr von Sina und Ernest André aus Paris - die "Vor-Concession für mehrere Eisenbahnen, Berg- und Hüttenwerke, Staatsgüter und Forste". Am 17. Dezember 1854 beschloß eine Versammlung der Interessenten in Paris die Konzession anzunehmen, falls einige Punkte modifiziert wurden, und erteilte Daniel Freiherrn von Eskeles, Georg Freiherrn von Sina und Isaak Pereire, dem Präsidenten des Verwaltungsrates in Paris die Vollmacht, weiterhin mit der österreichischen Regierung zu verhandeln.
Die österreichische Regierung hatte den 31. Dezember 1854 als letzten Termin für die Annahme ihrer Bedingungen festgesetzt. Nun wurden also tatsächlich um die Mitternachtsstunde der Silvesternacht des Jahres 1854 - oder in der ersten Minute des Jahres 1855 - die Linien der nördlichen und südöstlichen Staatsbahn mitsamt den staatlichen Domänen und Forsten an die Vollmachtsträger der nachherigen "Österreichischen Staatseisenbahn-Gesellschaft" verkauft.
Schon am 13. Februar 1855 wurde von dem Konsortium auch die Wien-Raaber-Bahn gekauft und von der Wien-Gloggnitzer-Bahn getrennt, die später eine der Stammstrecken der Südbahn wurde. Die Wien-Raaber-Bahn war bereits bis Bruck/Leitha in Betrieb, die im Bau befindlichen Fortsetzungsstrecken in Richtung Budapest wurden am 24. Dezember 1855 (Bruck/Leitha - Raab) und 11. August 1856 (Raab Uj - Szöny) eröffnet. Das bereits vorhandene Netz der ehemaligen "Nördlichen Staatsbahnen" von Bodenbach über Prag - Böhmisch Trübau nach Olmütz bzw. Brünn sollte nun mit dem übrigen Netz verbunden werden, das vorläufig zwischen Marchegg - Preßburg - Gran - Weitzen - Budapest bis Orsova verlief und die ehemalige "Südöstliche Staatsbahn" darstellte; ebenso war die Verbindung mit der Strecke Wien/Ostbahnhof nach Bruck/Leitha und weiter gewünscht.
Ausgangspunkt der StEG in Wien war der sogenannte Staatsbahnhof, der später als Ostbahnhof bekannt wurde (heute ist er mit dem Südbahnhof zu einem Komplex zusammengeschlossen). Im Wiener Bezirk Simmering teilte sich die Strecke und führte einerseits in Richtung Bruck/Leitha, andererseits nach Norden weiter über den Donaukanal, über eine Brücke über die Hauptallee durch den Prater und schließlich über die Stadlauer Brücke über die Donau und das Überschwemmungsgebiet. In Stadlau teilte sich die Strecke wieder; auf österreichischem Boden führte sie einerseits bis Laa/Thaya, andererseits bis Marchegg; diese Strecken werden auch heute noch befahren.
Da die einstige Maschinenwerkstätte der Wien-Gloggnitzer-Bahn in den Besitz der Wien-Raaber-Bahn gelangte, wurde sie beim Ankauf dieser Bahnlinie mit von der StEG übernommen und hieß nunmehr "Maschinenfabrik der StEG" oder, als Firmenbezeichnung StEG, was in historischen Abhandlungen manchmal Grund für Verwechslungen war und ist. Jedenfalls lieferte die StEG Lokomotiven an die StEG - wenn auch nicht ausschließlich. Da Wilhelm Engerth von der Maschinenfabrik mit in die StEG übernommen wurde und schließlich der Direktion der Bahngesellschaft als Zentraldirektor für Zugförderung- und Werkstättenangelegenheiten angehörte, nimmt es nicht Wunder, daß die von ihm entworfene Engerth-Lokomotive, die sich ja bereits am Semmering eingeführt und auch bewährt hatte, ebenso von der StEG für die StEG beschafft wurde.
Wie den Firmenberichten zu entnehmen ist, lieferte die StEG bereits 1856 dreizehn B2-Stütztender-Lokomotiven, für deren Bau Engerth verantwortlich war. In den Jahren 1857 und 1858 folgten zwölf belgische Cockerills mit der Achsfolge B3. Maffei in München lieferte 1856 siebzehn C3-Maschinen, die StEG im selben Jahr zehn Maschinen der gleichen Achsfolge; von Kessler in Esslingen wurden neunzehn C3-Maschinen beschafft, denen 1860 noch sechs Maschinen aus der eigenen Fabrik folgten. In dieser Zeit war der mittlerweile naturalisierte Engländer John Haswell immer noch der leitende Direktor der Maschinenfabrik der StEG. Er war 1837 nach Wien gekommen, um die Maschinenwerkstatt der Wien-Raaber-Bahn einzurichten, und hatte 1840 den Lokomotivbau aufgenommen. Bis zu seiner Pensionierung verblieb er in seiner Position. Man darf ihn den Begründer des österreichischen Lokomotivbaues nennen, dessen Entwicklung er nachhaltig beeinflußt hat. Insgesamt wurden unter seiner Leitung etwa 1700 Lokomotiven erzeugt.
Die StEG lag nicht nur mit der Kaiser-Ferdinand-Nordbahn in Streit, sondern auch mit der ungarischen Regierung. Ungarn war ja seit dem Ausgleich 1867 ein selbständiger Staat, der gegenüber der österreichischen Reichshälfte sogar eine Zollgrenze hatte, und die inneren Angelegenheiten Ungarns waren von den österreichischen streng getrennt. So war es auch zur Bildung einer eigenen Ungarischen Staatsbahn (MÁV) gekommen, die allen Erweiterungsplänen der StEG energischen Widerstand entgegensetzte. Schließlich, am 8. Juni 1882, wurde ein Vertrag zwischen der ungarischen Regierung und der StEG geschlossen, der die Schwierigkeiten ein für allemal ausräumen sollte. Nach diesem Vertrag sollte die MÁV berechtigt sein, die ungarischen Linien der StEG nach Ablauf des Jahres 1894 einzulösen. Es wurde für die ungarischen Linien der StEG eine eigene Direktion mit separatem Verwaltungsrat, beide mit Sitz in Budapest, errichtet. Die ungarische Regierung war erpicht darauf, möglichst bald ein großes Staatsbahnnetz zur Verfügung zu haben, und drängte auf eine frühere Einlösung, die nach einem neuen Vertrag vom 7. Juni 1891 sogar rückwirkend mit 1. Januar 1891 effektuiert wurde. Wie aus den Statistiken hervorgeht, hatte das österreichische Netz der StEG mit Ende des Jahres 1890 eine Betriebslänge von 1354 Kilometern, das ungarische sogar eine von 1500 Kilometern.
Auf dem österreichischen Netz waren an Rollmaterial vorhanden: 56 Eilzugslokomotiven, 63 Personenzugslokomotiven, 320 Güterzugslokomotiven; 724 Personenwagen, 268 Gepäcks- und Eilgutwagen, 9545 Güterzugswagen.
Auf dem ungarischen Netz war folgendes Rollmaterial vorhanden: 26 Eilzugslokomotiven; 61 Personenzugslokomotiven, 234 Güterzugslokomotiven; 468 Personenzugswagen, 279 Gepäcks- und Eilgutwagen, 6021 Güterzugswagen.
Zwischen der österreichischen Regierung und der StEG wurde am 21. Oktober 1908 ein Vertrag über den Erwerb der StEG geschlossen; die Betriebsübernahme erfolgte am 15. Oktober 1909 durch die k. k. Staatsbahnen.