Kaiser-Ferdinand-Nordbahn

Eröffnung:

Floridsdorf-Wagram 13. November 1837

 

Nordbahnhof - Floridsdorf 6. Jänner 1838

 

Lundenburg - Brünn    7. Juli 1839

 

Gesamtstrecke    1. August 1856

Übernahme:

durch die k. k. Staatsbahnen am 1. Januar 1906

Hauptstrecke:

Hauptstrecke: Wien/Nordbahnhof - Gänserndorf - Lundenburg - Prerau - Oderberg - Krakau

Seitenlinien:

Lundenburg - Brünn

 

Brünn - Prerau

 

Hullein - Teschen - Bielitz

 

Gänserndorf - Marchegg

 

Lundenburg - Laa/Thaya - Zellerndorf

Schnellzuglokomotive 210.01 zugeteilt der k.k. Staatsbahn-Nord. Gebaut wurde sie 1908 im Werk Floridsdorf, anonymes Werksfoto.

Angeregt wurde der Bahnbau von Salomon Freiherrn von Rothschild, zweitältester der fünf Söhne des Frankfurter Handelsherrn Maier Anselm von Rothschild. Salomon Rothschild kam 1819 nach Wien und war an der Entwicklung der Industrie in Österreich sehr interessiert; sein Bankhaus war an der Erschließung der Asphaltgruben in Dalmatien, am Ausbau der Kohlengruben im Witkowitzer Revier, sowie an der Gründung der Schiffahrtslinie des Österreichischen Lloyd beteiligt. Franz Xaver Riepl - ein Professor des Wiener Polytechnischen Institutes - wurde von Rothschild 1830 nach England geschickt, um die dortigen Eisenbahnen zu studieren.

Während seines zweiten Aufenthaltes sprach Riepl auch mit George Stephenson. Der Bau als Lokomotivbahn war nun so gut wie beschlossen. Bis zur Erteilung des Privilegs dauerte es jedoch fast noch einmal zwei Jahre: bis zum 4. März 1836. In Österreich mußte alles wohl geprüft und erwogen werden, ehe zögernd die Zustimmung erteilt wurde.

Eine Aktiengesellschaft wurde gegründet und der Bericht über die erste Generalversammlung am 25. April 1836 hob hervor, daß "Seine Majestät bewilligte, daß die Bahn den Namen des Kaisers führen dürfe, und als Kaiser-Ferdinands-Nordbahn ein bleibendes Denkmal für die spätesten Nachkommen bleiben soll".

Das Projekt hatte natürlich wie so viele andere Unternehmen Gegner und Neider: auf der dritten Generalversammlung der Aktiengesellschaft am 19. Oktober 1836 war die Bahn nur dadurch zu retten, daß Rothschild sich persönlich bereit erklärte, alle aufgelaufenen Spesen zu übernehmen, dafür aber auch die Rechte und Pflichten des Privilegiums für sich allein in Anspruch zu nehmen. Die Aktionäre horchten auf, und mit sechsundsiebzig gegen drei Stimmen wurde der Bau der Nordbahn, wie sie nun kurz genannt wurde - oder, mit dem offiziellen Titel: "Kaiserlich Königlich Ausschließlich Privilegierte Kaiser-Ferdinands-Nordbahn" -, endgültig beschlossen. Vorausblickenderweise bestimmte man, die notwendige Brücke über die Donau doppelgleisig auszuführen, wenngleich die Konstruktionen selbst provisorisch erstellt wurden. Die Donau war damals noch nicht reguliert und bildete zahlreiche Arme.

Im Wiener Prater in der Nähe des heutigen Pratersterns stand der erste Nordbahnhof. Es war ein recht einfacher Bahnhof, dessen Tore während der Nachtzeit auch über dem Schienenstrang geschlossen wurden. Von der Fabrik von Robert Stephenson in Newcastle-on-Tyne bestellte nun die mittlerweile konstituierte Direktion der Kaiser-Ferdinands-Nordbahn sechs Lokomotiven.

In zerlegtem Zustand trafen diese März 1837 nach mühevollem Transport in Wien ein. Sie waren per Schiff nach Triest und von dort mittels Pferdeschwerfuhrwerken über den Semmenng nach Wien befördert worden.

Unter Ausschluß des Publikums fanden am 13. und 14. November 1837 Versuchsfahrten statt. Zwischen Floridsdorf und Deutsch-Wagram wurden die ersten öffentlichen Fahrten am 19. und 23. November 1837 absolviert.

Die beiden Holzbrücken über die Donau und das Kaiserwasser waren kurz nach dem Neujahrstag 1838 fertiggestellt. Damit war der Anschluß an die bereits bestehende Strecke möglich. Die erste Teilstrecke der Nordbahn zwischen Wien und Deutsch-Wagram wurde am 6. Januar 1838 für den öffentlichen Verkehr freigegeben. Die Ära des Dampfeisenbahnzeitalters in Österreich-Ungarn hatte begonnen.

Viele hundert Plakate verkündeten in Wien, daß die Fahrten mit der "Lokomotiv-Eisenbahn", wenn die Witterungsverhältnisse es erlaubten, an Wochentagen zweimal, an Sonntagen dreimal unternommen werden. Die Hin- und Rückfahrt (es konnte sich offenbar niemand eine einfache Fahrt nach einem Zielort vorstellen) kostete in der ersten Wagenklasse 50 Kreuzer, in der zweiten 30 Kreuzer und in der dritten, deren Wagen weder Dach noch Türen und Fenster besaßen, 15 Kreuzer kurante Münze.

Die ersten Lokomotiven, die "Austria" und die "Moravia", stammten aus der Lokomotivfabrik von Stephenson. Die Strecke in Richtung Krakau wurde - doppelgleisig weitergebaut und am 1. August 1856 fertig; bereits am 7. Juli 1839 war die Zweiglinie nach Brünn dem Verkehr übergeben worden.

Ein in jeder Hinsicht bedeutsames, in seinen Folgen schwerwiegendes Ereignis hatte stattgefunden. Das erste Teilstück des Eisenbahnnetzes, das bis zur Jahrhundertwende geradezu das Verkehrsmonopol hatte, war der Öffentlichkeit übergeben worden.

Wichtig waren die Montanbahnen der KFNB im Kohlengebiet um Mährisch-Ostrau und Witkowitz. Bis zur bahnmäßigen Erschließung dieser Gebiete hatte die Kohle zur Feuerung der Lokomotiven aus dem Banat mühsam per Lastschiff donauaufwärts transportiert werden müssen, was den Brennstoff enorm verteuerte. Mitte der fünfziger Jahre des neunzehnten Jahrhunderts konnte mit dem Kohlenabbau in den Mährisch-Ostrauer und Witkowitzer Revieren begonnen werden. Dazu wurden die direkt zu den Gruben führenden Montanbahnen für den Abtransport der Steinkohle benötigt. Die Eisenbahn erschloß die Kohlengruben, das Produkt diente anderseits wieder dem Betrieb der Eisenbahnen - ein Beispiel für die Wechselwirkung der Entwicklung von Industrie und Verkehrswegen.

Die Reisezeit zwischen den beiden Städten Wien und Brünn hatte einst mit der Eilpost gegen zwölf Stunden gedauert und war nunmehr auf knapp vier Stunden Bahnfahrt zusammengeschrumpft. Zunächst erwiesen sich diese Reisen als großer Erfolg.

Wie aus alten Statistiken hervorgeht, erreichte der Personenverkehr das Achtzigfache, der Güterverkehr das Siebzigfache der ursprünglich angenommenen Ziffern. Die Aktionäre, die ihr Geld in ein Unternehmen gesteckt hatten, dessen Rentabilität angezweifelt worden war - denn trotz aller euphorischen Prognosen waren keine Vergleichsziffern vorhanden -, konnten zufrieden sein. Wie mit Akribie vermerkt wurde, überstiegen die Einnahmen zeitweise das Doppelte der Betriebsausgaben; demzufolge stieg die Dividende bis zu neunzehn Prozent. Das ist eine Ziffer, die heute die Verantwortlichen in den Bahnverwaltungen aller Welt nur mehr neidvoll erblassen läßt. Da die Bahn aber in erster Linie, ebenso wie die Straße, öffentliche Transportaufgaben zu bewältigen hat, haben die Volkswirtschaftler erkannt, daß ein Gewinn utopisch ist.

Die Kaiser-Ferdinands-Nordbahn stand bis zu ihrer Verstaatlichung oft im Kreuzfeuer heftiger und nicht immer sachlicher Kritik. Die Abkürzung KFNB wurde mit bitterem Spott als "Kein Fleisch Nur Brot" gedeutet, und das sollte heißen, daß die Angestellten, besonders der unteren Dienstklassen sehr schlecht bezahlt waren. Andererseits genoß gerade die KFNB den Ruf einer ausgezeichnet organisierten, gut geführten und daher präzise funktionierenden Linie. "Pünktlich wie die Nordbahn", war ein geflügeltes Wort. Die Nordbahn war eine nach streng kapitalistischen und autoritären Grundsätzen geführte Gesellschaft, die Gewinn abwerfen sollte und es auch tat, im übrigen aber für die Annehmlichkeiten der zahlenden Fahrgäste und für rasche Beförderung der ihr anvertrauten Frachten sorgte.

Im Jahre 1847 reiste der österreichische Dichter Franz Grillparzer von Berlin über Breslau, Kosel, Annaberg (das Zwischenstück bis zur KFNB in Oderberg legte er per Steilwagen zurück) und weiter nach Wien. In seinem Tagebuch beschwerte er sich über die "hundemäßige Nordbahn", über die mindere Qualität der Wagen, die "an und für sich zum Spazierenfahren sehr gut, allein zum Reisen so widersinnig als möglich" wären, da die Lehnen nur bis zum Rücken reichten und "das liebe Haupt während des Schlafens in der Luft schwebend hin- und hergebeutelt wird". Vielleicht saß der - in diesem Fall wohl zurecht grantige - Dichter-Hofrat noch in einem Abteil eines Wagens der ersten Jahre, das nur 1,69 Meter lang, 1,75 Meter breit und 1,60 Meter hoch war. Man hatte in diesem also nur gebückt stehen können, was beim Einsteigen und Belegen des Platzes sicherlich nicht eben bequem war. Auch diese Unannehmlichkeiten änderten sich ebensobald wie die 1841 eingeführte IV. Klasse für Personenbeförderung, die ungedeckte Wagen hatte und bereits 1858 endgültig aufgelassen wurde. Bis dahin waren die Fenster der 11. und 111. Klasse, die vorher nur mit Leder- oder Segeltuchvorhängen ausgestattet waren, verglast. Die Wagen wurden größer und breiter, damit auch bequemer. Im Jahre 1869 war die KFNB - damals eine revolutionäre Neuerung - die erste Bahngesellschaft, die sich der leidenden Menschheit erbarmte und wenigstens in die Wagen der 1. und II. Klasse Aborte einbauen ließ. Bis dahin hatten nur Dienstwagen über sanitäre Einrichtungen verfügt. Reisende mußten jeweils bis zur nächsten Station ausharren. Da trotz günstiger Neigungs- und Kurvenverhältnisse der Unterbau der KFNB so schwach war, daß nur eine Achslast von 13,5 Tonnen zugelassen war (moderne Hauptstrecken in Europa haben 20, in den USA 30 Tonnen Achslast), mußten die Lokomotiven und Wagen entsprechend leicht gebaut werden. Das führte zu neuen Konstruktionen. Die als Reihe I1d ab 1895 gebauten Loks leiteten in Europa eine neue Ära im Schnellzuglokomotivbau ein: es war dies das erste Modell mit der Achsfolge 2B1, das heißt: zwei Laufräder vorne, zwei gekuppelte Treibräder und eine hintere Laufachse zur Abstützung der Feuerbüchse. Diese immer hervorragend gepflegten Lokomotiven waren für die sogenannten "Blitzzüge" zwischen Wien und Krakau bestimmt. Ihren Namen "Blitzzug" trugen sie zu Recht, denn die KFNB führte tatsächlich die schnellsten Züge der Monarchie. Der "Blitzzug", bestehend aus fünf dreiachsigen Wagen der I. und 11. Klasse sowie aus einem dreiachsigen Dienstwagen, verließ den Wiener Nordbahnhof um acht Uhr morgens und erreichte Krakau nach einer Fahrzeit von 6 Stunden und 43 Minuten sowie einer mittleren Geschwindigkeit von 61,4 Stundenkilometern.

Länger als der "Blitzzug" war der tägliche Eilgüterzug von Krakau nach Wien unterwegs. Seine Gesamtfahrzeit betrug - einschließlich der fünfstündigen Aufenthalte (unter anderem wurde er in der Station Prerau vom "Blitzzug" überholt) 17 Stunden und 26 Minuten. Aber er hatte eine wichtige Funktion: täglich brachte er frisches Gemüse und Lebendvich aus Galizien für die Märkte Wiens, um die Versorgung der um die Jahrhundertwende rasch ansteigenden Bevölkerung der Residenzstadt zu gewährleisten.

Schon vor der Jahrhundertwende war man nun auch ernsthaft bestrebt, die wichtigen Eisenbahnlinien der österreichischen Reichshälfte unter eine einheitliche Verwaltung zu bringen, sie zu verstaatlichen und im Verband der "Kaiserlich-königlichen Staatsbahnen" zusammenzufassen. 1905 verdichteten sich diesbezüglich Gerüchte und hatten zunächst einen Kurssturz der KFNB-Aktien zur Folge. Auch leisteten die über die Übernahme in den Staatsdienst offenbar nicht glücklichen Beamten eine Art passive Resistenz, "Dienst streng nach Vorschrift", taten also das, was wir heutzutage als "Bummelstreik" bezeichnen würden. Obzwar es bereits Gewerkschaften gab - gerade die Eisenbahner hatten sich schon sehr früh organisiert -, gab es, bedingt durch die Gesetzeslage, kaum eine Möglichkeit, zu streiken. Die Streikenden wären nämlich unverzüglich zum Militär eingezogen worden. Auf diese Weise wären sie sofort der Heeresgerichtsbarkeit unterstanden und als Militärpersonen jeder Möglichkeit beraubt gewesen, Befehle zu verweigern. Die gesamte Bahnverwaltung wäre in diesem Fall vom Militär übernommen worden.

In den Zeitungen und Journalen wurde das Pro und Kontra mit heftigen, nicht immer sachlichen Argumenten verfochten, im Fall der KFNB wurde auch unnötig Staub aufgewirbelt. Das alles konnte den Entschluß des k. k. Eisenbahnministeriums nicht verhindern, die KFNB mit Datum 1. Januar 1906, mit Ausnahme der Montanbahn, in das staatliche Eigentum zu übernehmen. Ab 1. Januar 1907 wurde der Betrieb von der k. k. Staatsbahn voll übernommen und eine eigene Direktion der Nordbahn geschaffen. Die Kaiser-Ferdinands-Nordbahn, die bereits seit der neu erteilten Konzession vom 1. Januar 1886 nicht mehr die wichtige Bezeichnung "ausschließlich privilegiert" im Titel führen durfte (was mit der Errichtung von parallel laufenden Bahnlinien zu tun hatte), war nunmehr ganz in den Besitz des Staates übergegangen und hatte als selbständiger Wirtschaftskörper zu existieren aufgehört.