Zugkraft, Reibung, Geschwindigkeit und Leistung
Mit freundlicher Genehmigung von Hofrat Dipl. lng. Richard Rotter
Zum richtigen Verständnis der Charakterisierung eines Triebfahrzeuges müssen diese vier wesentlichen Einflußgrößen näher erläutert werden.
Die Zugkraft ist notwendig, damit eine Last entgegen den auftretenden Widerständen bewegt werden kann. Sie wird in Newton (N) oder Kilonewton (kN) angegeben. Auf der Schiene können in der Ebene mit 10 N Zugkraft etwa 250-330 kg, bzw. 30-40 N rund 1 Tonne bewegt werden. Für einen 1.000-Tonnenzug sind somit rund 35.000 N oder 35 kN Zugkraft vom Triebfahrzeug aufzubringen. Es sei aber festgehalten, daß mit zunehmender Geschwindigkeit dieser Wert zunimmt. In Steigungsabschnitten müssen je 1 PO, was einer Steigung von 1 m auf 1.000 m Streckenlänge entspricht, 10 N Zugkraft je Tonne aufgebracht werden. Das heißt, auf 10‰ (Purkersdorf-Rekawinkel) muß die Zugkraft für unseren 1.000-Tonnen-Zug 100x 1.000 = 100.000 N = 100 kN, wozu noch der Laufwiderstand mit rund 35 kN hinzuzurechnen ist, also insgesamt 135 kN betragen. Am Semmering mit 25‰ würden wir 250x1.000+35.000 = 285 kN benötigen. Enge Kurven erhöhen die Werte noch. Schließlich ist zu berücksichtigen, daß neben der Anhängelast auch das Eigengewicht des Triebfahrzeuges mitbewegt werden muß, wofür ein dem Gewicht proportionaler Zugkraftanteil von den Motoren aufzubringen ist. Die Zugkraftangaben beziehen sich, wenn nicht besonders vermerkt, auf den Triebradumfang.
Es muß nun diese Zugkraft von den Rädern auf die Schiene übertragen werden. Die Reibung zwischen Rad und Schiene gestattet, etwa 25% des Triebachsgewichtes zu übertragen. Bei schlechtem Schienenzustand (feucht, ölig, Rauhreif, Laubfall) sinkt dieser Wert bis auf 10% ab. Andererseits kann er bei sehr guten Voraussetzungen auf mehr als 30% ansteigen. Das bedeutet in der Praxis, daß eine 80-Tonnenlokomotive mit 4 Triebachsen 200 kN Zugkraft auf die Schienen bringt. Ist die erforderliche Zugkraft höher als dieser genannte "Reibungswert", dann beginnen die Räder sich durchzudrehen, wir sagen hierzu -Schleudern. Weiters muß zum Ingangsetzen eines Zuges kurzzeitig ein Zugkraftspitzenwert aufgebracht werden, um den Zug aus seiner Ruhelage heraus in den Bewegungszustand überzuführen. Diese "Losreißzugkraft" beträgt zirka 100 N je Tonne Zuggewicht. Der 1.000-Tonnen-Zug benötigt also zum Ingangsetzen 100 kN Zugkraft. (In der Steigung muß auch der Steigungswiderstand hinzugefügt werden. Daher auch die verstärkte Schleuderneigung beim Anfahren besonders in der Steigung.) Zur Beschleunigung eines Zuges ist ein Zugkraftmehrbedarf notwendig. Je höher das Zugkraftangebot, umso rascher beschleunigt das Fahrzeug. Der elektrische Bahnmotor hat nun die gute Eigenschaft, daß seine Betriebskennlinien im Anfahrbereich große Zugkräfte gestatten und im höheren Geschwindigkeitsbereich bei entsprechender Auslegung noch eine ausreichende Zugreserve aufweisen. Man spürt dies besonders beim Durchfahren von Steigungen, wo im Gegensatz zur elektrischen, bei Dieselzugförderung immer ein merklicher Geschwindigkeitsabfall auftritt. Besonders auffällig konnte man dies früher bei Dampflokomotiven feststellen.
Die Geschwindigkeit ist der Motordrehzahl verhältnisgleich, letztere hängt von der dem Motor zugeführten Spannung ab. Geringe Spannung bedeutet kleine Drehzahl bzw. Geschwindigkeit und umgekehrt. Der Triebfahrzeugführer regelt die Geschwindigkeit in der Weise, daß er verschiedene Spannungen an den Fahrmotor schaltet. Bei unseren Triebfahrzeugen werden hierzu dem Fahrmotor verschiedene Spannungen, welche am Transformator herausgeführt sind, über einen Stufenschalter zugeführt. Wir sprechen von der Steuerung des Triebfahrzeuges. Die Motorspannungen betragen dabei etwa 50-550 Volt.
Für die Thyristorlokomotiven gelten hievon abweichende Grundsätze. Einerseits erfolgt die Spannungsregelung stufenlos, andererseits können die Motorspannungen, da praktisch Gleichstrommotoren vorliegen, bis 1.200 V gesteigert werden.
Das Produkt aus Zugkraft und Geschwindigkeit ergibt die Leistung und wird in Kilowatt (kW) angegeben. Wir können die Fahrzeugleistung in kW nach der Formel
Leistung = Zugkraft (kN) x Geschwindigkeit (km/h) : 3,6
oder abgekürzt P = F .V : 3,6
rechnen (3,6 ist der Umrechnungsfaktor für die Geschwindigkeit von m/sek auf km/h).
Als Beispiel: Unser 1.000-Tonnen-Zug fährt auf der Wienerwaldrampe mit 80 km/h auf 10‰ bergwärts. Welche Leistung muß die Lokomotive aufbringen (wir hatten oben eine Zugkraft von 135 kN errechnet).
p = F . V : 3,6 = 135 x 80 : 3,6 = 3.000 kW
Es sind also 3.000 kW Leistung erforderlich. Je größer die Triebfahrzeugleistung, desto günstiger die Beförderungsvoraussekung.
Noch ein Beispiel: Ein 650 Tonnen schwerer Schnellzug ist mit 100 km/h auf 22‰ Steigung zu führen.
Gesamtwiderstand 650x220+650x40 ergibt rund 170 kN. Die erforderliche Triebfahrzeugleistung:
p = 170 x 100 : 3,6 = 4.720 kW
Ist der erstgenannte Einsatz leicht mit einer Lokomotive der Reihe 1042 zu fahren, kann der letztere nur mehr mit der Thyristorlok Reihe 1044 mit ihren 5.400 kW Stundenleistung bewältigt werden.
Es werden zumeist zwei Leistungswerte angegeben: Stunden- und Dauerleistung. Erstere darf nur eine Stunde ausgenützt werden, da nach dieser Zeit die Motorerwärmung die Temperaturgrenze für das Isoliermaterial erreicht hat. Sie reicht in allen Fällen zum Durchfahren unserer Rampenstrecken aus. Letztere kann dauernd gefahren werden und liegt ca. 5-10% unter dem Stundenwert. Für Beschleunigungsvorgänge bedeutet ein kurzzeitiges Überschreiten der Stundenleistung kein Problem.
Bevor wir den mechanischen und elektrischen Fahrzeugteil behandeln, wollen wir noch kurz die Begriffe Lokomotive, Triebwagen und System erläutern.
Lokomotiven sind Triebfahrzeuge, welche nur zur Erzeugung und Abgabe der Antriebsleistung dienen. In der Lokomotive sind daher die hierzu notwendigen maschinellen Anlagen, deren Hilfseinrichtungen und Bedienungsstände untergebracht.
Bei Triebwagen kommt noch die Beförderung von Nutzlast im Triebfahrzeug hinzu. Dies kann sowohl in Form von Fahrgästen (Personentriebwagen) als auch Gepäck (Gepäcktriebwagen) oder auch von beiden bestehen.
Unter -System ist das Stromsystem zu verstehen, mit welchem das Triebfahrzeug von außen versorgt wird. Ganz allgemein wird sowohl Gleich- als auch Wechselstrom verwendet. Die ÖBB verwenden Einphasenwechselstrom mit 15.000 Volt Fahrdrahtspannung und einer Frequenz von 16 2/3 Hz. Es ist dies 1/3 der Frequenz des öffentlichen Stromversorgungsnetzes (50 Hz) und gestattet, den einfachen und robusten Wechselstrombahnmotor in Reihenschlußschaltung mit einfacher und verlustloser Spannungsregelung zu verwenden. Einzige Ausnahme systemmäßig stellt die schmalspurige Mariazellerbahn mit 6.500 Volt Fahrdrahtspannung und 25 Hz dar. Das Einphasensystem mit 15.000 Volt und 16 2/3 Hz wird außer von den ÖBB auch in der Schweiz, in Deutschland, Schweden und Norwegen angewendet. Erst neuere Erkenntnisse lassen die Verwendung von Wechselstrom mit 50 Hz zu, wobei der Vorteil jenen Ländern zum Nutzen gereicht, die erst nach 1950 mit der Elektrifizierung ihrer Eisenbahnstrecken begonnen haben. Außerdem benützen viele Länder Gleichstrom mit 1.500 oder 3.000 Volt Fahrleitungsspannung, wobei manche Länder neben dem Gleichstromsystem noch das 50-Hz-System teilweise anwenden (Frankreich, CSSR, UdSSR, Jugoslawien).