Die elektrischen Triebfahrzeuge der ÖBB

Mit freundlicher Genehmigung von Hofrat Dipl. lng. Richard Rotter

Allgemeines
Im Jahre 1986 wurden bei den ÖBB von insgesamt 134,4 Millionen Triebfahrzeugkilometern 109,2 Millionen, d. s. 81,2%, elektrisch gefahren. Von insgesamt im gleichen Jahr beförderten 41,5 Milliarden Bruttotonnenkilometer (Btkm) entfallen 38,7 Milliarden, d. s. hier 93,2% auf elektrische Zugförderung. Aus diesen Zahlen ersieht man die Bedeutung des elektrischen Zugbetriebes. Mit 1. 1. 1987 waren bei den ÖBB insgesamt 930 elektrische Triebfahrzeuge vorhanden.
Diese große Anzahl elektrischer Triebfahrzeuge, welche durch Neulieferungen in stetiger Zunahme begriffen ist' stellt einen wichtigen Faktor unserer Volkswirtschaft dar, dem nicht immer die notwendige Bedeutung bzw. Beachtung beigemessen wird. Ja selbst vielen Menschen, die im Alltag immer wieder mit Elektrotriebfahrzeugen zu tun haben, ist darüber oft nichts oder zu wenig bekannt.
Hier das Verständnis zu wecken und die Technik auch der elektrischen Triebfahrzeuge nahezubringen, soll daher Aufgabe dieser CD-ROM sein.
Bevor wir aber auf die Fahrzeuge selbst näher eingehen, sollen angesichts der Wichtigkeit, welche der elektrischen Traktion heute weltweit beigemessen wird einige allgemeine Erläuterungen vorangestellt werden. Seit Beendigung der Dampftraktion wird neben der elektrischen immer wieder die Dieseltraktion als zweite zeitgemäße Art genannt.
Dieses allgemein anerkannte und ausgewogene Nebeneinander beider Traktionsarten, wobei der Dieseltraktion mehr Zubringer-Nebenstrecken und vor allem Verschubeinsatz eingeräumt waren, hat bis in die 1. Hälfte der Siebzigerjahre seine Richtigkeit gehabt. Bis dahin war eine bestimmte Streckenbelastung für Flach- und Hügellandstrecken als wirtschaftliches Kriterium für die Elektrifizierungswürdigkeit maßgebend. Bergstrecken standen seit jeher außer Frage. Die Ölkrise 1974 bewirkte ein Emporschnellen des Dieselölpreises um 50%, so daß sich erstens die Ausgangssituation für die wirtschaftliche Beurteilung grundlegend änderte. Dies hat sich durch die gegenwärtige Weltlage weiter zugunsten der Elektrifizierung verändert. Zweitens trat dabei eine bisher nicht beachtete Tatsache in den Vordergrund, nämlich die Krisenfestigkeit. Sollte eine Krisensituation entstehen, geraten die nicht erhebliche Erdölmengen produzierenden Länder in ein Transportdilemma. Dies sowohl auf der Schiene als auch auf der Straße. Elektroenergie steht in Österreich in ausreichendem Maße zur Verfügung, so daß die ihrer sich bedienenden Verkehrsträger krisenfest sind. Drittens treten die Umweltschutzkomponenten in immer stärkerem Ausmaß in den Vordergrund. Neben der Abgasbelästigung kommt die Lärmbeanspruchung bei Diesellokomotiven hinzu. Die gerechtfertigten Beschwerden von Anrainern in der Umgebung von Verschubbahnhöfen aber auch sonstigen Bahnhöfen oder Streckenabschnitten mit stärkerem Dieselverkehr geben Zeugnis hiefür. Viertens greift der Nahschnellverkehr in Ballungsgebieten als zwingende Alternative zum Individualverkehr in steigendem Ausmaß um sich.
Hier ist nur die Form der elektrischen Traktion der raschen Zugfolge und den dabei erforderlichen fahrdynamischen Voraussetzungen wegen diskutabel. Fünftens hat sich im gesunden Konkurrenzbestreben seit Mitte der Sechzigerjahre die Hochgeschwindigkeitstechnologie konkret entwickelt. Für 200 km/h und darüber können die erforderlichen Leistungen nur mittels elektrischer Energie erbracht werden. Diese fünf Bedingungen lassen die elektrische Traktionsenergie als die mit Abstand zukunftsträchtigste erkennen. Abgesehen von jenen Vorteilen, die schon bisher zu ihrer Einführung maßgebend waren. Selbst erdölproduzierende Länder erkennen letztere Argumente an und sehen auch in der elektrischen Zugförderung für gegebene Aufgaben diese als Zukunftsalternative an.
Nachstehende Ausführungen sollen nun die notwendigen Informationen über unsere Elektrotriebfahrzeugbauarten vermitteln. Zum Verständnis der technischen Angaben wird vorher der Aufbau elektrischer Triebfahrzeuge unter Berücksichtigung ihrer Entwicklung und Betriebsweise geschildert.
Der Beginn der Elektrifizierung der österreichischen Eisenbahnstrecken fällt in die Zeit vor dem 1. Weltkrieg. Diese 1. Elektrifizierungsetappe erstreckte sich auf wenige Strecken und zwar: St. Pölten-Mariazell-Gußwerk, Innsbruck-Garmisch-Partenkirchen-Reutte und Wien-Preßburg. Dementsprechend gering war auch die Anzahl von Triebfahrzeugbauarten. Die nächste Etappe fällt in den Zeitraum von 1918-1939, in welcher die Elektrifizierung der gebirgigen westlichen Bundesländer, praktisch abgeschlossen war. Die nach 1945 einsetzende Etappe, Elektrifizierung der östlichen Bundesländer ist bis auf einige Reststrecken praktisch abgeschlossen, hinzu kommt noch die westliche Drautalstrecke. Jede dieser Etappen ist durch bestimmte Triebfahrzeugbauarten charakterisiert. Hiezu kommen noch unter Einfluß der Deutschen Reichsbahn 1938-1945 entsprechende Reihen.
Die Lokomotiven der 1. Etappe besitzen in Anlehnung an die Dampflokomotiven ausschließlich Stangenantrieb. Am Beginn der folgenden stehen ebenfalls noch Stangenlokomotiven. Nach 1925 erfolgte der Übergang zum Einzelachsantrieb bei welchem jede Triebachse von einem eigenen Motor bzw. Doppelmotor angetrieben wird. Fahrzeuge großer Leistung mußten noch' um den zulässigen Achsdruck nicht zu überschreiten, Laufachsen erhalten. Rund 500 kW Motorleistung konnten damals gewichtsmäßig beherrscht werden, wo das gesamte Fahrzeuggewicht der Reibung zwischen Rad und Schiene nutzbar wurde. Nach 1945 tritt als besonders charakteristisch die laufachslose Hochleistungslokomotive auf, deren Leistungsgrenze bei 1.000 kW je Motor liegt. Weitere Kennzeichen sind waggonbauliche Grundsätze für Laufwerk und Kastenabstützung sowie die Hochspannungssteuerung.
Seit einigen Jahren kommt der Einbau elektronischer Bauteile hinzu, der in immer größerem Umfang seinerzeit in der Ausführung der Thyristorlokomotive mit einer Motorleistung von je 1.350 kW gipfelte. Ein weiterer innovativer Schritt ist inzwischen Realität geworden:
Antrieb durch kommutatorlose Drehstromfahrmotoren, wobei der Drehstrom durch zweimalige elektronische Umrichtung im Fahrzeug erzeugt wird. Die neuen Elektrolokomotiven sind bereits in dieser Technik ausgeführt.